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Volles Rohr / Playboy (8 Seiten) / 1998

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Volles Rohr
Mit 28 Männern 40 Meter unter Wasser über 1000 Seemeilen unterwegs. Eine Reise mit dem U-Boot ist ein Trip mit Tiefgang.
Foto: Knut Gielen
Rainer Schlempke steht auf der Pier und guckt auf seinen Arbeitsplatz runter. Auf U 18. Das kleinste Kampf-U-Boot der Welt. 49 Meter lang, 4,90 breit. Innen 33 Meter in der Länge begehbare Fläche, in der Breite nur einen Schritt. 500 Tonnen schwer, 300 Millionen Mark teuer. Die brennende Zigarette klemmt schief in seinem Mundwinkel, die Hände stecken tief in den Taschen. Der Kragen der Wattejacke ist hochgeschlagen. Das Handy hängt am Gürtel.
Der 32jährige Bootsmann ist mit einsneunzig einen Kopf größer und mit gut zwei Zentnern viel klobiger, als ich mir einen U-Boot-Fahrer vorgestellt habe. Mir ist ein bißchen mulmig, weil die Meteorologen Sturm vorausgesagt haben. Hab keine Ahnung, ob ich seefest bin. Bin das letztemal als kleiner Junge auf dem Wasser geschippert. Nichts Aufregendes. Nur eine kurze Fahrt mit der Fähre. Hab im Café gesessen und aus dem Fenster geguckt.
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Im U-Boot gibt es kein Fenster und auch kein Café. Acht Tage werde ich mitfahren. Knapp 1000 Seemeilen. Von Eckernförde nach Helsingborg in Schweden. Ich bin gut vorbereitet. Habe den Gesundheitscheck im Marinekrankenhaus Kiel absolviert und auch die dreiwöchige U-Boot-Rettungsausbildung im holsteinischen Neustadt. Da bin ich durch die Druckkammertests gegangen und habe im 30 Meter tiefen Tauchtopf den Ausstieg aus dem abgesoffenen U-Boot trainiert.
An die Sauerstoffversorgung anstöpseln, rausklettern und beim Auftauchen richtig ausblasen. Ruhig und gleichmäßig. Darauf kommt es an. Oben muß die Luft vollständig raus sein aus der Lunge. Sonst kann sie unterwegs platzen. Und wenn ich hektisch ausblase, komme ich ohnmächtig an der Oberfläche an. Weil mir die Luft ausgeht.
Cool bleiben beim Ausstieg, haben mir die Ausbilder im 32 Grad warmen Wasser des Neustädter Tauchtopfs, dem weltgrößten seiner Art, eingetrichtert. Stundenlang. Denn wenn im Ernstfall nur einer Panik kriegt, kann das den Tod der ganzen Mannschaft bedeuten.
U 18 liegt bewegungslos, wie ein von Wasser umspülter Fels, im Marinehafen von Eckernförde. Der braune Druckkörper ragt gerade mal zwei Meter aus dem Wasser. Kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß in dem Metallrohr 28 Mann leben, arbeiten und miteinander auskommen können.
Unteroffiziere, die niedrigsten Dienstgrade, schleppen die letzten Seesäcke, Tortenböden, Zwiebelkisten, Fleischbeutel, Weinkartons
und Bierkästen an Bord. Oberbootsmann Schlempke kontrolliert, ob alles seinen richtigen Gang geht. "Mann, ist das bitter. Schon wieder Jever", schimpft Schlempke, als er sieht, welches Bier er während der Fahrt trinken muß, und schmeißt die runtergebrannte Kippe angewidert ins Wasser. "Könnt ihr nicht mal das einzig Wahre oder das König der Biere besorgen?"
Niemand zwingt ihn mitzufahren. Denn es gibt nur freiwillige U-Boot-Fahrer in Deutschland. Insgesamt sind es 450, die auf 18 Booten fahren. Entweder als Zeit- oder als angehende Berufssoldaten. Sie verdienen bis zu 1500 Mark netto mehr im Monat als ihre Kollegen auf den Dickschiffen oder an Land.
Und sie gelten als Elitetruppe, als verschworene Gemeinschaft mit großem Zusammenhalt, verwegene Burschen mit Nerven wie Drahtseile. Als Abenteuerer. Die Gesichter der meisten Submarines, die auf der Pier und im Boot herumwuseln, sind frisch rasiert. Sie sind Anfang 20, wenige über 30.
"Das mit der Enge werden wir schon deichseln", sagt der Alte, Kapitänleutnant Kaufmann, und schüttelt mir kräftig die Hand. "Wir sind schon mit ganz anderen Sachen fertig geworden. Na, Sie sicher auch." Ich grinse steif und sage: "Ja ja, klar." Und denke, daß zwei, drei Tage auf dem Eisengleiter für die Geschichte vielleicht auch gereicht hätten. Kurz vor dem Auslaufen wird locker angetreten und genau durchgezählt. Daß Playboy mitfährt, wissen natürlich alle. Die meisten haben schon gefragt, ob ich ein paar Exemplare mitgebracht
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habe. Klar, habe ich. Die zehn Hefte sind ganz schnell vergriffen.
Dann gibt der Alte, auch gerade erst 30 geworden, das Startzeichen: "Ab geht die Marie – alle Mann an Deck." Vor- und Achterleine werden von den Männern auf dem Oberdeck eingeholt, die anderen klettern in Reihe und Ruhe durchs Turmluk runter.
Drinnen herrscht Chaos. Jeder Winkel ist vollgestopft. Ein Sammelsurium aus Lebensmitteln, Handrädern, Leitungen, Aggregaten, Ventilen, Manometern, Computern und Körpern.
Eingeklemmt von dem Ganzen, stehe ich kerzengerade da und gucke zu, wie sich die Wache fertig macht – und wie die Freiwache sich dünnmacht. Hans Albers rauscht aus den defekten Boxen der Bordanlage.
Der 1 Wachoffizier Hansen (1 WO), ein agiler 29jähriger Schlaks mit krausem Haar und rötlichem Vollbart, sowie WO-Schüler Grimm, ein ebenso drahtiger wie hochgewachsener 27jähriger, machen sich unter dem Turmluk für die Brückenwache klar.
Sie ziehen drei Paar Socken übereinander, wickeln sich Frotteehandtücher um den Hals, steigen in von Kopf bis Fuß durchgehende orangefarbene Gummianzüge und ziehen noch Parkas drüber. Zum Schluß können sie sich kaum noch bewegen. "Wir werden uns da oben ganz schön einen abzittern", befürchtet der 1 WO, bevor er schwerfällig hochklettert.
"Zwei Mann auf Brücke", brummt er auf halbem Weg. Damit der Alte oben vorsichtig mit seinen Füßen ist.
Unten im Druckkörper sind die ersten Schritte möglich. Ich gehe zwei, drei Meter durch die Zentrale und lehne mich unter der Brücke an die Wand. Da störe ich am wenigsten und habe einen guten Überblick. Komm' mir ziemlich blöd vor mit meinem Kugelschreiber, Notizheft, hochhackigen Schnallenschuhen und den anderen zivilen Klamotten.
"Leinen los. Klarmachen zum Ablegen", befiehlt der Alte übers Bordmikrofon. Die ganze Mannschaft wiederholt das Kommando. "Jetzt geht's lo-os", ruft einer wie in einer Fankurve.

Die Motoren- und Schiffstechniker, Rudergänger und Heizer beziehen ihre Wachposition an der Machine, an Seiten- und Tiefenruder im Hinterschiff, der 2 WO am Seerohr, die Sonar- und Radarmeister sowie der Steuermann und die Elektroniker in der mit technischem und elektronischem Gerät vollgestopften Zentrale im Mittelschiff, der Funker in seinem winzigen Schapp.
Die Sicht von der Brücke, auf der höchstens vier Mann Platz haben, beträgt nur etwa 100 Meter. Gischt umspült das Vorderschiff. Ohne Trennungslinie geht das Grau des Himmels in das Grau des Meeres über.
Wir fahren mit knapp acht Knoten (ein Knoten entspricht 1852 Meter) in der dritten Fahrstufe abwechselnd über Wasser und auf Seerohrtiefe (zehn Meter). Die Meldungen der Wache über Bewegungen auf den Radar- und Sonargeräten quittiert der Alte mit
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einem lässigen "Jau", das wie gerülpst klingt.
Das Boot besitzt fünf Fahrstufen. Bei Marschfahrt, zwischen acht und zwölf Knoten im dritten oder vierten Gang, verbraucht es pro Tag 1000 Liter Diesel aus dem 30 Tonnen fassenden Tank sowie 60 Liter Öl.
Die Höchstgeschwindigkeit bei Überwasserfahrt beträgt zwölf Knoten, unter Wasser schafft das Unterseeboot immerhin 18 Knoten. Nach 24 Stunden Tauchfahrt muß es an die Oberfläche, um Sauerstoff zu schnorcheln.
Ich liege, schlafe, gucke, sitze, stehe. Und warte. Darauf, daß ich mich an die vielen Arme, Beine, Bäuche, Hände und Füße um mich herum gewöhne, daß ich reinkomme in den Rhythmus an Bord. Aber vor allem warte ich darauf, daß ich auf die Brücke klettern, eine Nase Seeluft und einen Blick in die Weite nehmen kann. Über Jeans und Pullover habe ich das grüne Innenfutter der Panzerkombi, das ich vorm Auslaufen in der Kleiderkammer bekommen habe, angezogen.
"Am besten, du behältst das Teil einfach den ganzen Tag an. Und nachts auch", rät mir der 23-jährige Obermaat Knackstedt. "Es kann nämlich arschkalt hier unten werden, wie in 'ne Tropfsteinhöhle. Und wenn es Zeckenpisse regnet, mußt du die Decke mit Klebeband und Lappen verhängen. Sonst wachst Du klatschnaß auf." Zeckenpisse ist Kondenswasser, das sich an den Rohren und der Außenhaut des U-Bootes bildet. Besonders bei Tauchfahrten, wenn es im Boot wärmer wird.
Endlich ist die Brücke frei. Ich rufe "Aufwärts" und entere hoch. Wir befahren schon den kleinen Belt, die schmale Wasserstraße zwischen dänischem Festland links und der Insel Fyn rechts.
Die Wellen plätschern seicht. Am Himmel funkeln Sterne. Steuerbord kann ich die Lichter der dänischen Stadt Frederica, backbord einen Leuchtturm auf Fyn erkennen.
Ich sauge die frische, kostbare Luft tief und gierig ein. Neben mir telefoniert Steuermann Hörmann, 26, übers Handy mit seiner Frau. Sie erwartet in den nächsten Tagen ein Kind. Wenn es soweit ist, will sie versuchen, ihn zu erreichen. Wird nicht einfach sein. Unten ist kein Empfang.
Vier Stunden Wache, essen, vier Stunden schlafen. Das ist der Rhythmus an Bord. Nach dem Prinzip des warmen Bettes teilen sich immer zwei Mann eine Koje. Nur der Alte und der Smut haben eine eigene. Der Alte hat sogar einen Raum für sich alleine.
Karge zwei Quadratmeter am Rand der Zentrale im Mittelschiff, gleich unter der Brücke. Koje, Hokker, Tisch, Leselampe, Spind. Und Filzvorhang statt einer Tür. Das Pissoir direkt daneben besitzt nicht mal einen Vorhang. Man pinkelt unter Augen aller in die ovale Blechschüssel an der Wand.
Drei Schritte schräg gegenüber befindet sich das große WC. Es ist verdammt eng da drin. Und es tropft aus dem Gewirr von Leitungen an der Decke. Aber wenigstens gibt es hier eine verschließbare Tür. Die einzige auf dem ganzen Boot.
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Meine Hängematte beginnt zu schaukeln, als wir in den großen Belt fahren. Im Garten unter dem Kirschbaum wäre das ja okay. Aber hier unten im U-Boot macht sich gleich ein flaues Gefühl in meinem Magen breit und steigt zum Kopf hoch. Als beunruhigende Mischung aus Panik und Unsicherheit, die leichten Kopfschmerz und tumbe Wut verursacht. Wut auf alles um mich herum hier unter Wasser.
Aber ich lasse mir nichts anmerken. Wälze mich ächzend in der Matte und gehe den Gang zur Kombüse ein paarmal hin und her. Nervös, wie ein Tiger im Käfig. Schon jetzt beginne ich, den Himmel über mir zu vermissen und den Blick, der weiter als drei Meter geht und nicht auf einem blassen Schwabbelbauch kleben bleibt.
"Wenn es richtig hakt, beginnt in dem Eisengleiter der ultimative Seetauglichkeitstest", sagt Oberleutnant Krauss, als könne er meine Gedanken lesen und als wollte er mir noch mehr die Stimmung vermasseln. Die Elektronikoffizier (EloO) ist mit 34 das zweitälteste Besatzungsmitglied und fährt seit über einem Jahrzehnt U-Boot.
"Draußen braut sich ganz schön was zusammen. Komm lieber noch mal mit auf die Brücke", sagt der Brillenträger, und ich hab das Gefühl, daß er mich verarschen will. "Noch ein bißchen Luft schnappen. Wird nämlich nicht mehr lange möglich sein." Zischende Brecher schlagen jetzt über unseren Bug. Ein paar Fontänen peitschen mir dort oben, fast sechs Meter über dem Meeresspiegel, eiskalt ins Gesicht. Das tut gut. Blut jagt durch meine Adern. Ich schöpfe wieder Mut.
Um mich herum ist jetzt nichts als tosendes Wasser und Finsternis. 82 Meter unter mir der Meeresgrund. Und irgendwo geradeaus, am Ausgang des großen Belt, liegt die Insel Lolland. Da ist U 11 Anfang Februar mit einem finnischen Tanker kollidiert. Die Besatzung kam mit dem Schrecken davon.
Krauss bückt sich hinter das schützende Geländer und zündet sich eine Zigarette an. Eine Reval. "Weißt Du, was Reval heißt", fragt er breit grinsend. "Richtige Ehemänner vögeln außer Landes."
Ich bin kein richtiger Ehemann – und wohl auch kein richtiger Seemann. Mit triefendem Parka und steifen Gliedern klettere ich die Treppe runter. Ich würge auf dem Klo, doch es kommt nichts raus. Kann nicht sagen, daß ich seekrank bin. Kann aber auch nicht sagen, daß ich nicht seekrank bin. Kann aber sagen, daß ich anfange, die Stunden zu zählen, die ich noch mitfahren muß.
"Klarmachen zum Tauchen", befiehlt der Kommandant, nachdem er das Luk geschlossen hat und alle Schotten dicht sind. Wir haben Fehmarn, Warnemünde und Rügen ziemlich schnell, mächtig schaukelnd und meist über Wasser fahrend, passiert, befinden uns jetzt 100 Seemeilen südwestlich vor Bornholm.
Nach einer Minute meldet der Schiffstechnische Offizier: "Boot klar zum Tauchen." Zischend entweicht die Druckluft aus den Tauchzellen, die jetzt geflutet werden. Acht Tonnen Wasser strömen ein. Erst schneidet der Bug unter, bei elf Metern verschwindet die Seerohrspitze. Das Meer hat U 18 verschluckt.
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Jetzt sind fast keine Geräusche mehr zu hören. Kein Tosen der See. Kein Fluchen der Submarines. Nur noch dezente Ventilationsgeräusche, das Summen des Elektromotors, der uns mit sechs Knoten durchs Wasser gleiten läßt. Ich fühle mich wie auf einem Nachtflug mit Lufthansa. Das entspannt mich irgendwie. Weil ich gerne nachts fliege. Nur das Lächeln der aufmerksamen Stewardeß vermisse ich hier. Deshalb krame ich das Foto meiner Freundin raus, gucke es mir ausgiebig an und schlafe dann ziemlich relaxt ein.
"Die Gegend hier rund um Bornholm ist das Trainingszentrum der deutschen U-Boot-Flotte", sagt der zweite Steuermann Kraut, tief über seinen Kartentisch in der Zentrale gebeugt. "Das Problem hier sind eigentlich nur die Fischkutter. Die haben verdammt tiefe und reißfeste Netze. Kann man sich übel drin verfangen. Muß man höllisch aufpassen. Auch, daß man sie beim Auftauchen nicht rammt."

Für den 24jährigen Obermatrosen, der aus Freiburg in Sachsen stammt, ist es die dritte Fahrt im U-Boot. "Ist schon ein ziemlich cooles Gefühl, mit dem Ding rumzuschippern", sagt er.
Im Torpedoraum sticht Schlempke schon wieder eines seiner vielen Fünfliter-Pappweinfässer von Aldi an und schenkt die weißen Keramiktassen mit süßem Rosé voll. "Na denn mal Prost, Männer."
Der Elektrobootsmann (EloB) fährt seit neun Jahren U-Boot. Das Boot, der Roman von Lothar-Günther Buchheim, und die Verfilmung mit Jürgen Prochnow, Herbert Grönemeyer, Martin Semmelrogge und Ralf
Richter, hat ihn wie die meisten anderen hier auf die Idee gebracht, U-Boot-Fahrer zu werden. Buch und Film sind Kult unter allen Submarines.
"Ich bin nicht braun angehaucht oder so, aber die deutsche U-Boot-Flotte hat Tradition. Das waren noch richtige Kämpfer damals. Mußten viel einstecken und haben trotzdem noch ordentlich ausgeteilt. Ist schon ein gutes Gefühl, wenn man jetzt irgendwie dazugehört und die Tradition weiterführt", sagt Schlempke, der aus Düsseldorf stammt.
Er ist weit rumgekommen, war schon in allen Staaten Skandinaviens und in Großbritannien, Frankreich, Holland, Island, auf den Färöer-Inseln, auch schon in Rußland und Polen. "Jede Fahrt ist ein neues Abenteuer. Und wenn wir irgendwo einlaufen und an Land gehen, gucken die Leute. U-Boot-Fahrer sind überall was Besonderes. Und gerade deutsche. Auch für die Weiber in den Häfen."
"EloB spricht weise", stichelt Motorenmeister Isbrecht schräg grinsend. Ist Schlempke die Quasselstrippe an Bord, so ist der kleine 28jährige Isbrecht der Mann mit dem schwarzen Humor. "Guck ihn dir nur an. Ist faul wie die Pest. Frißt viel. Furzt, als ob er innerlich verfault. Was Besonderes? Was Fettes!"
"Ach, lutsch mir doch an der Leitung", erwidert EloB schmunzelnd auf die nicht böse gemeinten Beleidigungen. Isbrecht selbst ist auch ziemlich fett. Hat im letzten Jahr während einer dreimonatigen Fahrt im Mittelmehr 17 Kilo zugenommen und hält damit den Zuspeckrekord an Bord.
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"Meine Frau hätte mich fast nicht rangelassen, als ich durch die Tür gerollt kam. Und als sie mich dann doch gelassen hat, hat sie danach fürchterlich gemeckert. Noch heute klingen mir die Ohren", sagt er, nimmt das Besteck zur Hand, summt laut die Melodie von Das Boot.
Noch vier Tage. 96 Stunden. 20mal Essen. Mindestens ebensooft einschlafen und aufwachen. Ich gebe mitten am Tag Bier für die Freiwache aus. Und trinke selber ein paar Flaschen mehr als erlaubt sind. Mit Alkohol im Blut vergeht die Zeit schneller. Und die Phantasie kommt auf Touren. Hoffe ich wenigstens. Wär' ja nicht schlecht im ziemlich tristen Einerlei unter Wasser, wo ich nicht so recht was anzufangen weiß mit mir und der Zeit, nirgendwo hingehen kann und alles schon gesehen hab.
Auf die Brücke klettern ist nur selten möglich hier in den Tauchquadraten rund um Bornholm, weil wir höchstens zum Schnorcheln an die Oberfläche fahren. Die Raucher werden deswegen immer nervöser. Und die anderen auch. Wenigstens für eine Stunde raus hier, irgendwo alleine spazierengehen und abschalten. Das würd's jetzt bringen. Statt dessen gehe ich die acht Schritte von meiner Koje in die Zentrale und linse durchs Seerohr.
Die Sonne steht am Himmel. Ich kann ein paar Schiffe am Horizont sehen, bevor der 2 WO mir den begehrten Platz am Rohr streitig macht. Er müsse navigieren, sagt er. Wahrscheinlich giert er auch nur nach ein paar Strahlen Sonne.
Ich setze mich wieder an den gedeckten Tisch. Es gibt
Lauchcremesuppe, Rinderfilet mit Kräuterbutter, Gratinkartoffeln und gemischtes Gemüse, danach Schokopudding mit Sahne und Mandelsplittern.
Smut Müller, ein 21jähriger Junge vom Dorf, der erst seit sechs Monaten in der zwei Quadratmeter winzigen und etwa 100 000 Mark teuren U-Boot-Kombüse kocht, rüttelt mich später zum Kaffee wach.
"Eh, Spritzkuchen mit Himbeerfüllung", sagt er. Ich stehe auf. Obwohl ich mich satt und fett und faul fühle und seit Beginn der Fahrt nicht scheißen kann.
Zum Abendessen (kalte Platte mit Hähnchen- und Krabbensalat, Senf- und Gewürzgurken, Wurst, Käse, Brot) öffnet täglich kurz nach 20 Uhr die "Torpedobar". Das Sixpack Jever kostet 4,30, die Flasche Rum 22, spanischer Rotwein 5,20 Mark, Schokolade 80 Pfennige. Zigaretten 22 bis 28 Mark die Stange. Auf längeren Fahrten macht die Bar locker 5000 Mark Umsatz.
Nach ein paar Flaschen sowie neuerlicher Nahrungsaufnahme zum Mittelwächter um kurz vor Mitternacht, bei dem es Spaghetti mit Knoblauchsoße gibt, frage ich den Smut, wie ich in Helsingborg noch durchs Turmluk passen soll. Bei dem, was er mir da täglich vorsetzt.
"Essen ist wichtig hier unten. Das Highlight. Da freut sich die Meute drauf. Es macht zufrieden und beruhigt die Nerven", erklärt mir der Smut, dessen Spitzname 20-Pfund-Müller ist, weil man unweigerlich zunimmt, wenn er kocht.
U-Boot-Fahrern steht gegenüber anderen Marinesoldaten beinahe
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die doppelte Verpflegungsmenge zu: 4000 Kalorien am Tag, verteilt auf fünf Mahlzeiten. Und das bei einem Bewegungspensum von maximal 100 Metern am Tag.
Sonarmeister Merkler, Don Merkleone genannt, weil er aus dem Süden kommt, gibt mir einen Tip, wie ich der U-Boot-typischen Verstopfung begegnen soll: "Drei- bis viermal am Tag aufs Klo hocken. Nicht pressen. Gar nichts machen. Einfach nur dasitzen. Irgendwann fällt der Korken dann ganz von alleine."
Einfach auf dem Klo hocken und warten ist nicht so einfach. Denn nach ein paar Tagen See wird das Klo mehr und mehr zur Selbstbefriedigungszelle. Da ist Andrang groß. Ist ja klar. Und auch männlich.
Die Submarines geilen sich an Hydraulikheften auf. So nennen sie harte Pornomagazine wie Maximum Perversum, Sex oder Happy Weekend. Das Problem ist, daß manch einer das Waschbecken, nachdem er es mit "Frau Faust" getrieben hat, nicht ausspült. Das ist ziemlich schweinisch.
Ich schlafe immer in voller Montur und benutze dreimal am Tag den Deostift. Genauso wie alle anderen an Bord. Wer sich mit Wasser und Seife duscht, gilt als Badenutte; wer sich gar rasiert als schwul.

Der Sturm kommt verspätet. Gerade, als wir endlich aufgetaucht fahren und mit Kurs auf Själland von Bornholm wegschippern. Ein paar Uffze sitzen mit bleichen Gesichtern und hängenden Köpfen am Tisch,
mampfen wortlos Zwieback und schlürfen Tee.
Funker Hendriks, 23, schrubbt den Gang. Das Klo war gerade besetzt, als er sich übergeben mußte.
Wir fahren mit geschlossenem Turmluk, weil die Wellen über die Brücke schlagen. Der Blick aus dem Seerohr offenbahrt nur nächtliche Dunkelheit. Auch dafür gibt es einen markigen Spezialausdruck unter See: Bärenarsch. Bei Bärenarsch und unbesetzter Brücke wird blind gefahren. Nur mit Horch- und Radargeräten. Wenn in der Zentrale absolute Stille herrscht, hört man die Schiffsschrauben über Lautsprecher auch noch aus 30 Kilometer Entfernung.
Der Sonarmeister kann an den Schraubengeräuschen, dem Blattflattern, Dieselbrummen und Getriebesingen erkennen, ob es sich um eine Fähre, einen Kutter, Trawler oder Tanker handelt, wie schnell er ist und welchen Kurs er fährt. Mit einer Genauigkeit von bis zu 95 Prozent. Vorausgesetzt, er pennt nicht.
Denn im ganzen Boot hat sich eine große Müdigkeit breitgemacht. Auch ich liege fast nur noch im Schlafsack und döse vor mich hin. Das Hirn läuft nur noch auf Sparflamme. Durch den anhaltenden Wellengang sinkt die Stimmung an Bord stündlich. Fragen werden kürzer, Antworten gereizter, Blicke trüber.
Die Würste und Schinken an der Decke schwingen wie Pendel. Der Smut hat Mühe, die Nudelsuppe im Topf zu zähmen. Und alles wird noch erschwert durch ständig neue Fahrmanöver.
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"Schnell abtauchen auf 40 Meter": Dabei wird das Boot mit bis zu 14 Tonnen Meerwasser geflutet, es sinkt ab und wird ausgependelt.
"Schnell auftauchen auf Seerohrtiefe": Das Boot wird gelenzt. Die Mannschaft rennt nach achtern, damit der Bug schneller hochkommt.
Und dann kommt bei 40 Meter Tiefe das Kommando, das im Ernstfall den sicheren Tod bedeutet hätte: "Schwerer Wassereinbruch im Motorenraum. Alle Mann aus dem Boot." Jeder schnappt sich eine dicke Jacke, die Tauchbrille, schlüpft in die Rettungsweste und stöpselt sich an die Sauerstoffleitung an.
Obwohl ich bei den Übungen nicht mitmache, bin ich total erledigt. Ausgelaugt vom Nichtstun. Das anhaltend schummrige Licht macht meine Augenlider schwer. Ich mach' nicht mal mehr Notizen. Mein Pensum besteht nur noch aus Liegen, Fressen und in Sexheften rumblättern. Bis der Alte endlich den Befehl gibt: "Auftauchen, Luke öffnen, Frischluft tanken."
Es ist jetzt fast windstill oben. Obwohl der Himmel bewölkt ist, brauche ich eine ganze Weile, bis sich meine Augen wieder an das Tageslicht gewöhnen. Die Gesichter der Submarines haben sich nach fast einer Woche auf dem Boot verändert. Sie sehen abgekämpft aus. Die Haut ist bleich und pickelig geworden. Unter den Augen zeichnen sich dunkle Schatten ab. Bärte sprießen, die Haare sind fettig.
"Ab in den Keller. Klarmachen zum Tauchen", befiehlt der Alte nach der zweistündigen "Rauch- und Telefonierpause" viel zu schnell. Doch dann fügt er noch hinzu: "Wir wollen doch, daß der eine oder andere noch zu seinem ersten Grundbier kommt."
In Friedenszeiten kann U 18 mit seiner nur eineinhalb Zentimeter dünnen Stahlhaut bis in Tiefen von 100 Metern runter, habe ich gelesen. Bis dahin und keinen Meter weiter gibt der Hersteller Garantie. Theoretisch ist es auch möglich, auf ein paar hundert Meter runterzugehen. Auf wieviel genau, das ist Militärgeheimnis. Muß der Feind nicht wissen.
In unserem jetzigen Tauchquadrat, unweit von der schwedischen Küste, liegt der Meeresboden bei 70 Metern. Das Bier schmeckt hier nicht wie überall. Wer kann schon von sich behaupten, daß er auf dem Meeresgrund "Prost" gesagt und die Pulle angesetzt hat.
Entspannung und Vorfreude aufs Einlaufen in den nahen Hafen von Helsingborg machen sich breit.
Irgendwie ist mir der Geruchssinn über die Tage abhanden gekommen. Selbst als der Smut frische Brötchen backt, nehme ich den Duft nicht wahr. Ich rieche auch nicht mehr den schweren, sauren Dunst. Eine Mischung aus Fuß, Furz, Schweiß, Öl und Diesel.
"Das mit der Nase ist normal", sagt Schlempke. "Die funktioniert erst wieder, wenn du geduscht hast. Dann mußt du mal an deinen Klamotten schnuppern. Dagegen ist Tigerpisse das reinste Lavendelwasser."
Auf der Fähre von Helsingborg nach Helsingör habe ich meine stinkenden Klamotten noch an. Sie stören niemanden. Weil das riesige Bordrestaurant völlig menschenleer ist. Ich gucke aus dem Fenster runter auf U 18 und atme auf.