home

Stadt der Konkubinen / Amica (5 Seiten) / 2004

1
Die Stadt der Konkubinen
Willkommen in Shenzhen: Hier arbeiten sehr viele neureiche Chinesen. Und ihre "Zweitfrauen".
Foto: Jens Palme
Im Separee der Karaokebar "Xin ren" (Großes Vertrauen) geht der Abend in die entscheidende Phase. Xiao Hong und Zhang Li springen auf die Tische und lassen Bauchnabel und Busen aufblitzen, ehe sie den glücklich beschwipsten Herren im Publikum auf die Schöße hüpfen. Noch drei Schnulzen lang Nahkampf-Fummeln auf den muffigen Stoffsofas, dann ziehen zwei glückliche Männer mit den beiden ab. Im ersten Stock gibt es Betten, in denen man das Kennenlernen vertiefen kann.
Xiao Hong und Zhang Li sind 18 und 19 und stammen aus der gut 1000 Kilometer entfernten Provinz Hubei. Die Bauerntöchter haben nur bis zur fünften Klasse die Dorfschule besucht. Mehr Bildung konnten sich ihre Eltern nicht leisten. Danach sah es nicht gut aus für die beiden in dem verarmten Kaff. Kein Job. Kein Geld. Keine Hoffnung auf baldige Besserung. Und in der Fernsehwerbung all die
2
schönen Sachen, die es jetzt auch in China zu kaufen gibt, aber für Mädchen vom Land so unerreichbar sind wie der Mond. Deshalb haben sie sich aufgemacht, um in Shenzen, der reichsten Stadt Chinas, ihr Glück zu suchen.
Jetzt sind sie "Er nai", erklärte Zhang Li mit so viel Stolz, als wären sie und ihre Freundin in der Neun-Millionen-Metropole im Hinterland Hongkongs berühmte Models oder wenigstens Moderatorinnen bei einem der sechs Lokalsender geworden. Tatsächlich sind sie Prostituierte. "Er nai" ("Zweitfrau") ist eine Konkubine. Die Dorfschönheiten haben sich zwei verheiratete Geschäftsmänner aus Hongkong geangelt. "Goldesel", kichert Zhang Li. "Gute Männer", kichert Xiao Hong.
Die Männer im Alter ihrer Väter handeln mit Elektronikartikeln und sind in die Klasse der neureichen Millionäre aufgestiegen. Da kann man sich schon eine Geliebte gönnen. Ohnehin gehören in China Konkubinen seit jeher zu den unverzichtbaren Statussymbolen begüterter und gesellschaftlich hoch stehender Männer. Selbst für Parteibosse und Armeegeneräle gilt der Grundsatz, nach dem schon der Kulturrevolutionär Mao Zedong bis ins Greisenalter gelebt haben soll: je jünger die Mädchen desto besser. Die Geschäftsmänner schauen alle paar Tage oder Wochen vorbei, um mit ihren Mietgespielinnen zu singen, zu trinken und im Bett endlich einmal alle Hemmungen zu verlieren. Die Mädchen bekommen dafür umgerechnet 1000 Euro im
Monat – weit mehr, als ihre Eltern jährlich verdienen. Zur Rundumversorgung gehört auch eine Wohnung im Stadtteil Sazhui: zwei kleine Zimmer, Küche, Bad. "Wir leben im Luxus", sagt Zhang Li. "Als normale Arbeiterinnen könnten wir von so etwas nur träumen", bestätigt Xiao Hong. In ihren von Sicherheitsleuten bewachten Apartmenthäusern wohnen nur junge Frauen wie sie. In den Blocks rundherum auch: 5000 Zweitfrauen bevölkern Chinas größtes "Konkubinendorf". Sazhui ist ein zum Stadtteil gewuchertes Bordell.
Auf den Straßen flanieren Pärchen mit grotesken Altersunterschieden, überall warten als Friseursalons oder Karaokebars getarnte Bordelle auf Kundschaft, werden einem "Massagen" oder eine "Miss" angepriesen. In einem schmierigen Hinterzimmer-Büro führt uns ein Zuhälter per Videoübertragung den frisch in der Stadt eingetroffenen Nachschub vor, der in anderen Hinterzimmern eng aneinander hockt. Man könne sofort testen, sagt der 20-jährige Mädchenhändler, ab 150 Yuan (15 Euro) für Sex, "Chunü" (Jungfrauen) würden das 20fache kosten. Und selbst seine Jüngsten wüssten bereits, was Männer mögen, er habe ihnen genügend Pornofilme gezeigt. Dann zoomt der Zuhälter für uns die Hübschesten näher heran, gibt kurze Befehle durchs Funkgerät: "Du da, mit dem roten Pullover, zeig deine Brüste. Ganz links außen, dreh deinen Hintern zur Kamera." Die Mädchen parieren.
Das alles passiert in einem Land, in dem Prostitution strengstens
3
verboten ist. Doch hier in Shenzhen sind solche Gesetze nur ein Witz. Es gibt zu viele reiche Männer in Shenzhen, und reiche Männer haben auch in der kommunistischen Volksrepublik alle Rechte auf ihrer Seite.
Die meisten kommen aus dem nahe gelegenen Hongkong. Der benachbarte Wirtschaftsgigant heizt das horizontale Gewerbe in Shenzhen wie ein Hochofen an. In gleich sieben Konkubinenvierteln sind 20 000 Zweitfrauen untergebracht, und im gesamten Stadtgebiet hoffen 200 000 Prostituierte darauf, einen Versorger zu finden. Immobilienmakler und Menschenhändler verdienen sich dabei eine goldene Nase. Mafiosi stecken sich die Taschen voll: Sie verwalten gemeinsam die eigentlich verbotenen Städtchen.

Die allgegenwärtigen Security-Trupps, von Ex-Polizisten kommandiert, passen mit Argusaugen und modernster Spitzeltechnik auf, dass es keine Probleme gibt, die Schmier- und Schmutzgelder in die richtigen Kanäle fließen und nicht zu viele und zu harte Drogen im Umlauf sind. Und dass niemand allzu Neugieriger hinter die Kulissen blickt. Vor allem kein westlicher Journalist. Eine falsche Frage, ein Notizblock oder eine Kamera können hier zu Prügel und Problemen führen.
"Feld, Fließband, Friseursalon", erklärt die 19-jährige Zhang Li aus der Karaokebar "Großes Vertrauen" ihre Stationen auf dem Weg nach Shenzhen. "Dann wurde ich in einer Disco von meinem Hongkonger Freund entdeckt. Unter 150 Mädchen wählte er mich aus. Es war wie
ein Gewinn in der Lotterie. Von seinem Geld kaufe ich mir teure Kleider, Schuhe und Make-up. Mehrmals im Monat gehe ich zur Kosmetik. Es bleibt sogar noch genug für meine Eltern übrig. Ich bin jetzt der Haupternährer der Familie." Doch das attraktive Mädchen möchte nicht nur schön bleiben, shoppen gehen und in der Wohnung auf ihren Gönner warten. Sie will auch Spaß haben, sagt sie, und deshalb tanzt sie in der Karaokebar, auch wenn ihr Freund nicht dabei sei.
Und wenn ihr ein Gast gefalle, habe sie Sex mit ihm. Gegen Bezahlung. Ihr Hongkong-Mann allerdings darf davon nichts erfahren, sonst würde er sie sofort aus der Wohnung werfen. Ohnehin ist ihr jetzt schon klar: "Mit Anfang 20 werde ich ihm zu alt sein. Er wird sich eine Jüngere nehmen. Bis dahin will ich so viel gespart haben, dass ich einen Friseursalon aufmachen kann." Zum Abendessen in einem Restaurant in Sazhui ist sie mit ihren Freundinnen Bai Li und Huang Juan verabredet. Auch sie sind von Beruf Zweitfrau. Bai Li ist fröhlich. Die mit ihrer beachtlichen Größe, der hellen Haut und dem ovalen Gesicht das chinesische Schönheitsideal haargenau verkörpernde Nordchinesin hat von ihrem Freund einen 1000-Euro-Brillantring geschenkt bekommen. Sie sieht den Ring als Zeichen dafür, was er versprochen hat: sich scheiden zu lassen und sie zu heiraten.
Die kleine Huang Juan ist nervös. Für heute Nacht hat sich ihr Freund angemeldet, nach fast zwei Monaten Funkstille. Deshalb muss sie
4
nachher noch zur Kosmetik. Und zum Friseur. Und Dessous kaufen. Und Eiswürfel besorgen: Für "Huo he Bing" (Feuer und Eis), eine Sextechnik, bei der das Mädchen abwechselnd heißen Tee und Eiswasser trinkt, während sie ihm einen bläst – angeblich der Hit bei Hongkong-Chinesen.
Ich sitze inzwischen bei "Mami" Ah Li, einer professionellen Vermittlerin. Sie beordert per Telefon drei Teenager in ihr Büro in Buji. Ich hatte ihr erzählt, ich wäre Bauingenieur, würde ein paar Monate in Shenzhen arbeiten und für diese Zeit eine Konkubine brauchen. Als die Mädchen sehen, wer auf sie wartet, sind sie erschrocken: "Ein Ausländer!", bricht es aus Fei Fei, 18, heraus. Nur zögernd setzen sich Li Yan, 17, und Wang Hua, 19, auf den Hocker. Alle drei kichern, tuscheln, starren bestürzt auf meine Hose. Genau auf die Stelle ein paar Zentimeter unterhalb der Gürtelschnalle. Die Mädchen aus fernen Provinzen in Zentralchina glauben, erklärt die 28-jährige Mädchenhändlerin, dass ich, wie alle Westler, riesige Geschlechtsorgane haben müsse. Ganz so, wie sie es in den hier üblichen Hardcore-Lehrpornos gesehen haben.

Meine Wahl fällt auf Fei Fei. Nachdem sie später in einer Bar ein paar Lieder geträllert und Limonaden getrunken hat, erklärt sie mir, dass sie bereits von Freitagnachmittag bis Montagmorgen ausgebucht sei. Für mich hätte sie von Dienstag bis Donnerstag Zeit. Falls mir das genügen
würde, müsse ich für sie eine möblierte Wohnung mieten, möglichst mit Einbauküche und Badewanne, und außerdem 8000 Yuan (800 Euro) im Monat zahlen. Ich lehne aus vollem Herzen ab. Lasse ein paar 100 Yuan Ausfallhonorar auf dem Tisch in der Karaokebar zurück. Und bin weg.