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Selbst das kleinste Kaliber verheißt große Macht / Stuttgarter Zeitung (1 Seite) / 2009

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Selbst das kleinste Kaliber verheißt große Macht
Rund dreißig Millionen illegale und zehn Millionen legale Schusswaffen gibt es in der Bundesrepublik. Dreißig von hundert Deutschen besitzen eine oftmals nicht registrierte Knarre. Das ist europäische Spitze. Unser Autor ist eingetaucht in die Welt der Waffenbegeisterten.
Foto: Günther Menn
"Klar, das Ballermann-Business ist noch immer mein Metier", spricht Kotte (Name geändert) etwas kryptisch ins Mobiltelefon. Kottes Welt sind die Waffen. Die illegalen.
Er räuspert sich und stellt das Autoradio leiser. "Die Geschäfte gehen gut. Seit fünfzehn Jahren schon. Keine Probleme. Blütenweiße Weste. He, ich bin ziemlich stolz auf mich." Kotte, Anfang vierzig, dem Autor seit 1992 bekannt, kichert komisch. Das klingt etwas verrückt. Doch er ist zu einem Treffen bereit. Das ist auch irgendwie verrückt.
Seit 1992 verkauft er heiße Eisen. "Ballermänner", nennt er sie. Damals studierte er in Berlin und hatte durch veritable Russischkenntnisse und wegen seiner Vorliebe für Wodka intensive Geschäftsbeziehungen zu einigen korrupten Kommandeuren der russischen Roten Armee. Die waren in Wünsdorf bei Berlin stationiert und wollten beim Abzug aus Deutschland einen Teil ihrer
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Makarow-Pistolen, Kalaschnikow-MGs und Skorpion-MPis noch schnell in harte Währung umsetzen. Kotte konnte ihnen helfen.
Viele Berliner gierten Anfang der neunziger regelrecht nach Waffen, denn per Alliiertengesetz war bis dahin der private Besitz streng verboten. Und auch auf dem schwarzen Markt war bis zum illegalen Ausverkauf der russischen Knarren schwer an scharfe Waffen zu kommen. Kotte landete einen Volltreffer und stieß zielgenau in eine Marktlücke. Er musste nicht mehr kellnern. Er verdiente mit den Knarren viel Kohle.
"Bin gerade auf Kundentour. Aber übermorgen würde mir gut in den Kram passen", sagt der Waffenhändler, während er das Autoradio schon wieder lauter dreht. "Irgendwo bei Porta Westfalica, zwischen Bielefeld und Hannover. Da übernachte ich und habe ein paar Stunden Zeit."
"Früher habe ich die russischen Eisen vornehmlich an Gangster und Ganoven verkauft", erklärt Kotte in dem urigen Lokal am vereinbarten Treffpunkt. Es gibt Rouladen. Die Handys sind ausgestellt. Kein weiterer Gast sitzt im Restaurant. Kotte fühlt sich sicher: "Heute mache ich mit den Leuten aus der Unterwelt keine Geschäfte mehr. Ist zu stressig. Die Jungs könnten von der Polizei observiert werden. Eine Bank überfallen, Schutzgeld erpressen, jemanden umlegen oder entführen wollen. Nee, damit will ich nichts zu tun haben."
Er verkaufe "zu neunzig Prozent scharfe Waffen an schlaffe Typen", sagt er. "Ärzte, Architekten, Anwälte, selbstständige Unternehmer, Sicherheitsgewerbler, Otto Normalverbraucher, Kerle, die große Kaliber für ihr Ego brauchen,
ängstliche Ladys, Detektive, Manager, die keinen Bock auf Schützenvereine haben. Auch ein paar Polizisten mit gut gefülltem Waffenschrank zu Hause stehen in meiner Kundenkartei. Ich hüte sie wie meinen Augapfel. Das wissen meine Leute. Entsprechend positiv ist auch die Mund-zu-Mund-Propaganda", sagt Kotte, der in einem "Häuschen mit gepflegtem Rasen und üppigem Baumbestand irgendwo zwischen Berlin und Nürnberg" wohnt.
Seine Klienten müssen eine Bedingung erfüllen: über 25 Jahre alt sein. Darauf lege er Wert. Was das Alter betrifft, sei er strenger als die Behörden: "Wenn du Mitglied im Schützenverein oder Jäger bist, kriegst du von denen schon mit 18, in manchen Bundesländern mit 21 die Waffenbesitzkarte und kannst dir im Laden offiziell scharfe Knarren kaufen. Das halte ich für zu früh. So aus psychologischer Sicht gesehen."
Kotte hat mit seinen Kunden Codewörter vereinbart. Die Pumpgun ist eine "Bodenvase", die MPi eine "Bohrmaschine", der Trommelrevolver ein "Dosenöffner".
Er arbeitet mit einem Händler im ehemaligen Jugoslawien zusammen oder lässt den Waffennachschub von Strohmännern mit meist falschen Pässen in Tschechien, der Schweiz, Frankreich oder Belgien beschaffen. "Dort herrschen wesentlich lockerere Waffengesetze als in Deutschland. In der Schweiz zum Beispiel musst du quasi per Gesetz eine Waffe im Haus haben", erklärt Kotte. "Und so genau nehmen die ausländischen Waffenhändler die Pässe auch nicht unter die Lupe. Die wollen verkaufen."
Zudem habe er gute Geschäftsbeziehungen zu
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Waffenschmieden in Italien. "Gegen cash auf die Kralle kriege ich da alles, auch ohne gültige Händlerlizenz", sagt Kotte und bestellt eine weitere große Apfelschorle: "Manche Leute geben ein Vermögen für Knarren aus. Das teuerste Stück Eisen, das ich an den Mann gebracht habe, hat satte sechzigtausend Euro gekostet. Vor ein paar Monaten.. Eine richtige Top Gun. Handarbeit. Für einen Waffennarren ist jede Schraube, jeder Tropfen Öl, jede Gravur ein kleiner Fetisch."
So etwas wie Unrechtsempfinden besitzt der Mann, der seine Geschäfte mit aufreizender Lässigkeit über die Bühne zu bringen scheint und während seiner gesetzeswidrigen Berufskarriere bereits "eine kleine Volksarmee" ausgerüstet habe, gar nicht.
Die Schießprügel, die er auf dieser Tour ausliefert und auf die der Reporter einen kurzen Blick riskieren darf, nimmt er später nicht mit hoch ins Hotelzimmer. Er lässt sie einfach im Kofferraum seines unauffälligen Mittelklassewagens liegen. "Wird schon keiner klauen", sagt Kotte kichernd. "Aber aus den Händen reißen werden sie mir die Ballermänner. So viel ist sicher."
Die Deutschen rüsten auf. 3,6 Millionen Menschen in der Bundesrepublik besitzen rund zehn Millionen registrierte, legale Schusswaffen. Zwei Millionen Besitzer von scharfen Waffen sind Mitglieder in Schützenvereinen, 900 000 Altbesitzer und Erben, 400 000 Jäger und 300 000 Sammler. Das sind meist Menschen, die ihre Knarren als Kulturgegenstand sehen.
Hinzu kommen mindestens zwanzig wahrscheinlich sogar dreißig Millionen illegale Schusswaffen, wie die Gewerkschaft der Polizei (GdP) schätzt.
Damit erreicht der private Waffenbesitz hierzulande, wo nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) jedes Jahr etwa 12 000 illegale Waffen beschlagnahmt und zudem 12 500 Waffendelikte verhandelt werden, bereits etwa alarmierende fünfzig Prozent des US-Niveaus. Hochgerechnet sind dreißig von hundert Deutschen bewaffnet. Das ist nicht nur alarmierend. Das ist auch trauriger Europarekord. Zum Vergleich: in allen EU-Ländern besitzen durchschnittlich "nur" 17 von hundert Menschen eine Knarre.
Und die großkalibrige Aufholjagd geht weiter: Pro Jahr werden zurzeit in Deutschland eine Millionen registrierte Pistolen, Revolver und Gewehre verkauft. Das sind pro Kopf gerechnet fast genauso viele wie im Land des Waffenweltmeisters USA.
Das Verblüffendste dabei - in Deutschland, dem viertgrößten Waffenexporteur der Welt, legal an Knarren zu kommen, ist gar nicht mal schwer. Und das, obwohl die Waffengesetze seit der ersten Reform 1972 und nach jedem neuerlichen Amoklauf angeblich dauernd verschärft werden: Man wird einfach Mitglied in einen Schützenverein oder gründet selbst einen. Dafür sind nur ein polizeiliches Führungszeugnis und etwas Geduld nötig. Ein Jahr lang muss man den Nachweis erbringen, dass man regelmäßig mit der vereinseigenen (Leih-)Waffe trainiert, unter 25-Jährige müssen zudem ein psychologisches Gutachten vorlegen. Nach der bestandenen Sachkundeprüfung gibt es von der Polizeibehörde die Waffenbesitzkarte (WBK). Die berechtigt zum Kauf von mindestens zwei scharfen Waffen.
Die Ballermänner darf man zu Hause lagern und
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zur Ausübung des "Schießsports" in nicht geladenem Zustand hin und her transportieren, aber man darf sie nicht in der Öffentlichkeit tragen.
Dafür ist der Waffenschein (WS) nötig. Den kriegt jedoch nur, wer nachweisen kann, dass er "wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib und Leben" gefährdet ist. Dies trifft in der Regel nur auf Sicherheitsunternehmen, in Ausnahmefällen auch auf gefährdete Politiker, Bankdirektoren oder Juweliere zu. Nach Angaben der GdP gibt es bundesweit rund sechshundert Waffenscheine für Privatpersonen.
Ortswechsel. Berlin. Drei Männer zwischen Ende zwanzig und Anfang vierzig sind bereit, ihre illegalen Knarren für Fotos zur Verfügung zu stellen. Pumpguns, Pistolen und Revolver. Sie sind nicht besonders misstrauisch. Aber sie stellen Bedingungen: keine Namen, keine Adressen, keine Gesichter.
Sie sind keine Gangster. Sie fühlen sich nicht mal als Kriminelle. Sie haben Familien, Jobs und der eine sogar ein eigenes kleines Geschäft. Sie sind Durchschnittsdeutsche, sagen sie. Doch reden über Waffen wie über Motorräder. Oder Bohrmaschinen.
Wozu brauchen sie die Knarren? "Die gehören doch heute irgendwie dazu", sagt einer grinsend und mit der Schulter zuckend. "Ich kenne viele, die Waffen besitzen. Ein paar sind registriert. Die meisten nicht."
Sie selbst lagern ihre Knarren in der Schrankwand im Wohnzimmer, in der Schublade der Flurkommode oder unter dem Bett im Schlafzimmer.
"Eine Waffe im Haus ist für mich mittlerweile so normal
wie ein Auto vor dem Haus", sagt ein anderer, der in einem Cateringunternehmen arbeitet, zwei kleine Söhne hat und neben einem silbernen 44er Magnum-Revolver gleich zwei Pumpguns sein Eigen nennt. Er posiert auf der Kellertreppe mit dem schweren Schießgerät. "Die Schrotflinten haben eine so enorme Durchschlagskraft, damit kann ich glatt kleine Bäume fällen", sagt er. Er hat es ausprobiert. In den einsamen Wäldern Brandenburgs.
Christian Engel, kurz geschorenes Haar, braun gebranntes Gesicht, mächtiger Bizeps, steht mit dem 8000 Euro teuren Scharfschützengewehr im von ihm liebevoll gestalteten Garten hinter seinem Haus in einem Kaff bei Potsdam. Allein für das Spezialzielfernrohr hat Engel 2000 Euro bezahlt.
Die Frühlingssonne strahlt vom Himmel. Der 51-Jährige steht auf einer kleinen Holzbrücke, die über seinen plätschernden Fischteich führt. Präzisionsgewehr und Kampfhund bei Fuß. Plötzlich reißt der Scharfschütze die Waffe hoch. Er zielt auf eine Elster, die im Baum des Nachbargartens sitzt. Engel drückt nicht ab.
Der Betreiber einer Kampfsportschule in Berlin-Zehlendorf hat eine Waffenbesitzkarte und eine gültige Lizenz für das Gewehr sowie für ein paar andere Knarren. Doch er schießt nicht mehr so gerne, sagt er: "Das hat mir mal Spaß gemacht. Ist lange her."
Aber um die Knarren behalten zu dürfen, muss er alle paar Monate auf den Schießstand und sich das vom Vorsitzenden des Schützenvereins bescheinigen lassen. Sonst muss er die WBK und Waffen abgeben. Das will er auch wieder nicht.
Sich auf dem schwarzen Markt mit Pistolen, Revolvern,
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Pumpguns oder gar mit automatischen Waffen einzudecken ist ähnlich einfach, wie Drogen zu erwerben. In einem richtigen Kiez gibt es auch richtige Knarren. Und in großen Städten wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt kann man sich durchaus innerhalb von 24 Stunden bis auf die Zähne bewaffnen. Man braucht nur das nötige Kleingeld und ein paar Beziehungen, die sich in einschlägigen Kneipen, Clubs oder Cliquen jedoch schnell knüpfen lassen.
"Wenn ich illegal eine Waffe erwerben will, ist das kein Thema. Oft reicht es schon sich am Bahnhof ein bisschen umzuhören", weiß auch Arne Niederbacher, 38. Der Sozialwissenschaftler von der Uni Dortmund hat vier Jahre lang die Faszination, die Schusswaffen meist auf Männer ausüben, erforscht. Ihnen den Zugang zu Waffen zu verbieten, hält er wegen der vielfältigen Beschaffungsmöglichkeiten für sinnlos.
Niederbacher vergleicht in seinem Buch, "Faszination Waffe - Eine Studie über Besitzer legaler Schusswaffen in der Bundesrepublik Deutschland" (Ars Una Verlag), die Leidenschaft für Ballermänner mit der für Autos: "Schützen sind fasziniert von ihrer Ästhetik, ihrer Technik, ihrer Historie und der Dimension zu schießen. Selbst das kleinste Kaliber in der Hand bedeutet, jedenfalls theoretisch, ein großes Stück Macht."
Niederbachers ein wenig augenzwinkerndes Resümee seiner jahrelangen Studien, während derer er selbst Mitglied in einem Schützenverein war: "Legale Waffen disziplinieren. Man sollte jedem Bundesbürger eine geben. Denn die Sportschützen, die ich kennengelernt
habe, sind die gesetzestreuesten Bürger, die man sich vorstellen kann. Eine Anzeige wegen Beleidigung oder Schwarzfahrens, einmal unter Alkoholeinfluss Auto fahren - und sie müssen ihre Waffen abgeben. Ihre Heiligtümer. Und das will keiner von denen, die ich während meiner Forschungen kennengelernt habe, riskieren."
"Projektile abfeuern ist ein Sport", meint auch Alfred Reinecke. "Keine Krankheit." Anfang 2000 hatte der Hamburger, der bis dahin in einer Rechtsanwaltskanzlei am feinen Jungfernstieg arbeitete, eine völlig neue Geschäftsidee: Schießen für jedermann.
Jeder, der über vierzehn ist, kann sich bei Reinecke Schießbahn und Waffen leihen.
"Waffenschein oder Waffenbesitzkarte brauchen meine Kunden nicht. Vierzehn- und Fünfzehnjährige müssen allerdings einen Erziehungsberechtigten mitbringen", erklärt Reinecke. Der 44-Jährige, ein Mann mit ruhiger Hand und flinken Gedanken, hat in Hamburgs Innenstadt eine sechshundert Quadratmeter große Räumlichkeit angemietet und sie zu einem Revolverclub ("Hanseatic Gun Club") mit drei Schießbahnen auf zwei Ebenen umgebaut. Seine Geschäftsidee zielt auf Kunden mit viel Geld und wenig Lust auf die üblichen Schützenvereine ab. Und er hat Erfolg damit. Viele Sportschützen visieren mit Vorliebe in der ganz speziellen Schießbude in Hamburgs City die Mitte der Zielscheibe an. Unternehmer, Chefärzte, Bankdirektoren, Verleger und Manager lassen hier die Projektile vor allem aus Gründen der Entspannung fliegen, so sagen sie. Junggesellenabende, Geburtstagspartys und Vertragsabschlüsse
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werden in Reineckes elitärem Gun-Club gefeiert, in dem Sicherheit höchste Priorität besitzt und Michael Schütz, im Zweitberuf Werkschütze beim Waffenhersteller Heckler & Koch, unerfahrenen Schützen den richtigen Umgang mit der Waffe erklärt.
"Dass ich rechtlich gar keine Probleme mit meinem Gun-Club habe, damit hatte ich am Anfang echt nicht gerechnet", resümiert Alfred Reinecke zufrieden.