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„Ich hätte ja eine Pussy gezeichnet ...“ / Stern (9 Seiten) / 2013

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„Ich hätte ja eine Pussy gezeichnet ...“
... sagte der Keyboarder Rick Wakeman – und skizzierte einen Hasen. Jeden Rockstar, den er traf, bat der Musikjournalist Michael Henkels: Mal mir dein Lieblingstier. In 40 Jahren entstand so eine wundersame Sammlung kleiner Werke großer Künstler
Fotos: Keystone

Alle Zeichnungen:
© Ingrid Henkels
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Der Schatz lag jahrelang im Dunkeln. Verborgen in einem Arbeitszimmer hinter schweren Vorhängen. Michael Henkels hatte den Raum in einem Hamburger Reihenhaus bis zu seinem Tod mit Platten, Postern und Notizbüchern gefüllt. Selbst der Frau des Musikjournalisten war der Zutritt verboten. Inmitten der Reliquien eines Reporterlebens standen zwei staubige Aktenordner voll kleiner Kritzeleien. Buntstift auf Papier. Gemalt von Weltstars – berühmt allerdings für ihre Musik, nicht die Malerei.
Für Henkels aber haben die Heroen von Pink Floyd, Abba, Led Zeppelin, Genesis und Deep Purple einen kurzen Moment lang das Genre gewechselt. Seit Beginn seiner Laufbahn hatte der Reporter jeden seiner Interviewpartner um eine Zeichnung seines Lieblingstiers gebeten. Und sie malten, kritzelten, witzelten. Eine sehr bunte Maus von Sänger Meat Loaf, eine krakelige Katze von Bluesrocker Alexis Korner, ein roter Ferrari von Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason.
In zwei graue Pappordner sortiert, standen insgesamt 164 Unikate bis vor wenigen Monaten unbeachtet in einem vollgestopften Regal. Erst als Henkels Ende 2012 mit 68 Jahren an Krebs starb, zog seine Frau die Vorhänge im schummrigen Arbeitszimmer zurück. Die 74-Jährige bat einen befreundeten Plattenhändler, die Kammer zu sichten.
Als Paul Löffler, Mitinhaber der „Plattenrille“ im Hamburger Grindelviertel, schließlich den Ordnerdeckel öffnete und signierte Zeichnungen von Rockröhre Nina Hagen oder Abba-Sängerin
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Agnetha Fältskog in Händen hielt, japste er nach Luft. Blätterte sich immer schneller durch das Who’s who der Pop- und Rockmusik. Blätterte durch vier Jahrzehnte: Leonard Cohen, Harry Belafonte, Art Garfunkel, Udo Lindenberg, Brian Ferry. Und sah: signierte Elefanten, Hunde, Hasen, Löwen, Bären und Schlangen auf weißem DIN A4.
Michael Henkels, ein hochgewachsener, vollbärtiger Kettenraucher, hatte Anfang der 70er Jahre begonnen, für Plattenlabels, Radiosender, Zeitungen und Zeitschriften zu arbeiten. Er sprach Englisch und Französisch, führte exklusive Interviews, schrieb Bücher über Elton John und die Bee Gees sowie ein Jazz-Lexikon. Von Anfang an legte er den Musikern in Interviews Block und Buntstifte vor. Nicht um die Werke irgendwann zu veröffentlichen, sondern um die Stimmung aufzulockern, erzählt Günter Ehnert, ein Freund des Reporters. „Die Musiker waren überrascht, die meisten fanden es cool.“
So kam es, dass der bärtige Schlagerveteran Bill Ramsey zum Marienkäfer-Maler wurde und der mit sieben Grammys ausgezeichnete Jazzmusiker Al Jarreau eine Giraffe porträtierte. John Entwistle malte zwischen zwei Interviewfragen eine Spinne im Netz – eine Anspielung auf den von ihm getexteten Song „Boris The Spider“. Dabei hatte ihn sein ganzes Musikerleben lang ein anderes Tier begleitet: Er wurde „The Ox“, der Ochse, genannt, weil er seine Basslinie stoisch weiterspielte, während seine Bandkollegen von The Who auf ihren Konzerten regelmäßig ausrasteten.
Unter den Zeichnungen der Musikikonen sind, natürlich, auch einige Selbstporträts. Steve Negus, Schlagzeuger der kanadischen
Rockband Saga, betitelte seines mit „Alle Drummer sind Tiere“. Und Robin Gibb von den Bee Gees, im vergangenen Jahr gestorben, malte einen stoppelbärtigen Raucher.
Zu den abstrakteren Werken zählt das kartoffelförmige Knollentier des Filmmusik-Komponisten und Songschreibers Randy Newman. Auch das Motiv von Abba-Sängerin Anni-Frid kommt aus der Fabelwelt: ein mit offenbar allen greifbaren Buntstiften gemaltes Flügelwesen. Die Lieblingskunstwerke des Reporters waren die spielerischen Annäherungen an das Sujet Lieblingstier: das Spiegelei mit dem Titel „Chicken“ des früheren Genesis-Frontmanns Peter Gabriel etwa oder der rote Ferrari von Nick Mason. Der war nicht nur Rocker bei Pink Floyd, sondern ist bis heute Autonarr und Oldtimer-Sammler. Eine Ausstellung der Werke ist indes noch nicht geplant, bislang auch kein Buch.
Mick Jagger war einer der wenigen, die Henkels eine Zeichnung verweigerten. Supertramp-Schlagzeuger Bob Siebenberg vertröstete ihn schriftlich: „Ich verspreche, dass ich meine Zeichnung für deine Sammlung bei unserem nächsten Treffen nachreichen werde. Nur das Beste, Bob“, kritzelte er auf seinen Zettel. Zu diesem Treffen ist es nicht mehr gekommen. Henkels Karriere endete vor einigen Jahren, als der Kampf gegen den Krebs begann.