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Poker um die Rote Flora / Hamburger Abendblatt (eine Seite) / 2010

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Poker um die Rote Flora
Einblicke in das Haus, das wieder zum Spekulationsobjekt wird, weil Besitzer Klausmartin Kretschmer verkaufen will. Aktivisten kündigen schon Widerstand an
Fotos: dpa, argus
Die Volxküche im linken Erdgeschoss der Roten Flora hat nur montags und donnerstags geöffnet. In dem von Autonomen besetzten, ehemaligen Varietétheater gibt es nur veganes Essen. Für Einsfünfzig. Wer knapp bei Kasse ist, zahlt, was er kann. Die Vokü, wie die Räumlichkeit kurz genannt wird, ist auch eine gute Gelegenheit, um überhaupt einmal reinzugucken in den geheimnisvollen Hort alternativer Kultur und linksextremster Ideen.
Denn eine Kontaktaufnahme mit dem Plenum, einer Art Chefetage, gestaltet sich schwierig. Das Kontrollgremium der „Floristen“ besteht aus etwa 25 Frauen und Männern im Alter zwischen 18 und 68 Jahren. Sie sind Tischler, Klempner, Büroangestellte, Studenten, Anwälte, Arbeitslose, Frührentner. Einige Ältere entstammen der PunkBewegung. Einmal pro Woche sitzt das Plenum zusammen und manifestiert die politische Linie. Jedes Banner, das draußen an der Flora flattert, wird beraten und beschlossen.
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Jeder Journalist, der um ein Hintergrundgespräch bittet, wird abgewiesen.
Die Flora-Bosse hüllen sich in Schweigen. Das könnte sich bald schon als schwerer Fehler herausstellen.
Die Mailadresse ist eine Einbahnstraße, die Telefonnummer tot. Und vielleicht ist die Rote Flora, so wie sie jetzt ist, schon bald Vergangenheit.
Flora-Sprecher und Plenumsmitglied Andreas Blechschmidt, 44, „studierter Germanist“, tätig in einer Anwaltskanzlei, hält sich zum möglicherweise bevorstehenden Verkauf der Flora resolut bedeckt. „Wir sind uns in der Meinungsbildung noch nicht einig und somit selbst noch in der Diskussionsphase“, sagt er.
Das Plenum sitzt in der Zwickmühle. Wer radikal nur sein eigenes Süppchen kocht, kann keine Probleme lösen. Denn die Ober-Floristen reden nicht nur nicht mit Journalisten. Sie reden auch nicht mit Investor Klausmartin Kretschmer, dem Besitzer der Flora, der jetzt einen Verkauf des Hauses am Schulterblatt in Erwägung zieht. Nicht mit Vertretern von Stadt oder Senat.
Oft ist die schwarze Eingangstür am rechten Seitenflügel verschlossen. Egal, welchen der sechs Klingelknöpfe man drückt, die Tür bleibt zu.
Dies ist kein offenes Haus für jedermann“, sagt Florian*, Mitte 20, der gerade ein paar Kisten Bier und Limonade hineingeschleppt hat. Der in blinkende Nieten und schwarze Klamotten gekleidete Student bezeichnet sich als „Flora-Freund“.
Kretschmer sagt, ihm lägen sechs, sieben beachtenswerte Angebote vor
Er hängt oft hier ab. Draußen im Park, am Skater-Parcours oder eben drinnen im kühlen Haus, in dem viele Fenster zugemauert, zugenagelt oder mit Maschendraht gesichert sind. „Angenehmes Klima herrscht drinnen“, sagt Florian an das Treppengeländer vor der Tür gelehnt. „Es ist eine ganz andere Welt. Gute Gespräche. Gute Musik. Krass tickende Typen. Drinnen ist es scheißegal, wie viel Kohle du hast, welche Klamotten du trägst. Da drin ist ein letztes Stück Freiheit.“
Wie sieht er die Zukunft der Flora angesichts der Verkaufsgerüchte? Florian winkt ab. Das Thema nerve ihn. Klar, er habe schon Schiss, dass er „wegen der Profitgier eines Investors und hinterlistiger Machtinteressen von Politikern“ diesen für ihn und seine Kumpels so wichtigen Ort bald nicht mehr aufsuchen könne. Dass diese „kreative Zelle“ eine „tote Kommerzbude“ werde. „Aber eins ist sicher: Wollen die uns die Flora klauen, fliegen die Fetzen, kommt Unterstützung aus ganz Europa. Den 1. Mai verschieben wir dann einfach auf den Sommer, Herbst oder Winter, wenn du weißt, was ich meine.“ Mit diesen Worten steuert er ins kühle Haus und zieht die Tür hinter sich zu.
Der Besitzer der Roten Flora, Klausmartin Kretschmer, 52, blond, braun gebrannt, ExOffizier, „BWL studiert und ein bisschen Psychologie und Theologie“, zweimal geschieden, keine Kinder,
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ist der Mann, der über die Zukunft des noch besetzten Hauses ein gewichtiges Wort mitreden kann. Ihm, der die Flora vor bald zehn Jahren für 370 000 DM gekauft, Hausverbot in seinem Haus hat und der die Besetzer bis heute „duldet“, liegen „sechs, sieben beachtenswerte Kaufangebote zwischen acht und gut 19 Millionen Euro vor“, behauptet er.
Im März 2011 endet die vertraglich festgelegte Sperrfrist für den Verkauf der Flora.
Das Pokerspiel ums Haus hat längst begonnen. Im Juni hat sich Investor Kretschmer mit Jürgen Warmke-Rose, Altonas Bezirksamtsleiter, und Thomas Schuster, Amtsleiter des Immobilienmanagements der Hamburger Finanzbehörde, getroffen. Dabei wurden die Rahmenbedingungen für einen Deal abgeklopft.
Ein Ränkespiel um viele Millionen und ein paar Hundert Menschen
Im August soll es ein zweites Treffen geben. Denn auch die Stadt hat durchaus Interesse, die Flora zurückzukaufen. Nur so kann sie selbst bestimmen, was mit den Besetzern wird. Der Gutachter-Ausschuss für Grundstückswerte soll den Wert der umstrittenen Immobilie auf – für Kretschmer „lächerliche“– 1,2 bis 1,5 Millionen Euro geschätzt haben. Nur – konkret äußern mag sich von Stadt und Senat niemand. „Wir möchten unsere Verhandlungsposition nicht schwächen“, sagt Kerstin Godenschwege, Pressesprecherin vom Bezirksamt Altona.
Es ist ein politisches Ränkespiel um viele Millionen. Und um ein paar Hundert Menschen im Umfeld des Hauses. Investor Kretschmer blättert in einem Stapel Briefe an und von Behörden. In den vergangenen Monaten hat er sich an den Bürgerschaftspräsidenten Lutz Mohaupt, den CDU-Fraktionsvorsitzenden Frank Schira und den Vorsitzenden des Innenausschusses KarlHeinz Warnholz gewandt, um die Zukunft des „Konfliktherdes in der Schanze“ zu besprechen. Doch die Politiker zögern. Es gebe beim Senat in Sachen Rote Flora keinen Ansprechpartner, moniert der Investor.
Was ist, wenn ich die Flora an das amerikanische Sicherheitsunternehmen verkaufe, dass mir 19 Millionen geboten hat?“ fragt Kretschmer und fährt sich mit der Hand durchs Haar. „Der Vertragsentwurf liegt mir vor. Er gilt bis Ende April 2011. Ich müsste ihn nur noch unterschreiben.“
Ist der Interessent etwa das berüchtigte Söldnerunternehmen Blackwater, das im Herzen der Schanze mit brachialer PR seine Deutschland-Dependance eröffnen will? Kretschmer zuckt – viel und gar nichts sagend – mit der Schulter. Er lächelt. Auch er kann warten. Und pokern. Er hat die besseren Karten.
Eigentlich erwarte ich ein Schreiben vom Bürgermeister, Innensenator oder Finanzsenator mit konkreten Vorschlägen, was sie denn nun vorhaben, wenn sie das Haus kaufen könnten oder wollten“, sagt Kretschmer.
Am 24. Juli wird demonstriert. Die After-Demo-Party steigt in der Roten Flora.
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Drinnen im Kasten – so nennen viele Floristen das besetzte Haus – riecht es nach kaltem Rauch. Die Wände sind mit Graffiti, Plakaten und Parolen („Naziterror stoppen“, „Anarchie total“) zugepflastert.
Hinter der Eingangstür rechts ist die Männertoilette. Links ein Abstellzimmer, daneben ein Raum, wo gerade Gitarren für den Auftritt gestimmt werden. Durch den großen Saal, der sich hinter dem zugemauerten ehemaligen Haupteingang erstreckt und wo schon Bands wie Fettes Brot oder Absolute Beginner gespielt haben, geht es in die Volxküche. Rund 40 Frauen und Männer nehmen auf zwei Etagen ihre vegane Mahlzeit ein. Längst nicht alle tragen schwarz. „Einen Burger darf hier drinnen niemand essen“, erklärt Arne, 44, grauer Vollbart, arbeitslos, ein Anwohner, der gerne in die Flora geht. „Auch der Genuss von Coca-Cola oder das Tragen von Kroko-Schuhen könnten zum unsanften Rauswurf führen. Und wenn man Investmentbanker oder Verfassungsschützer ist, sollte man das besser nicht herausposaunen. Aber sonst ist hier drin alles easy.“
Die Volxküche kredenzt Kartoffelsalat und Hirsebrei. Der Kaffee dazu kostet 50 Cent, Astra einssiebzig, Limo einsfünfzig. Für das Konzert sind fünf Euro Eintritt „erwünscht“. Wer die nicht hat, zahlt, was er kann, sagt der Einlasser.
Im zweiten Stock ist das „Archiv der sozialen Bewegung“. Der dritte Stock ist nicht begehbar. Einsturzgefahr. Auf der morschen Treppe liegen Baugerüste herum. Spinnenweben, Staub, rostige Nägel. Irgendwann hat hier wohl jemand renovieren wollen. Und es dann doch gelassen.
Vor dem größten Raum im zweiten Stock ist eine Terrasse mit Blick aufs Schulterblatt. Auf die Läden und Restaurants gegenüber. Auf das flirrende Schanzenleben. Man sieht von hier, ohne gesehen zu werden. Sechs bunt gekleidete Floristen relaxen auf spießigen, gar nicht politisch korrekten Plastikmöbeln, wie sie auch in Kleingartenanlagen stehen. Über ihnen flattert ein weißes Banner mit schwarzer Schrift: „Freiheit bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Schiss, wa?“
Im Raum neben dem Archiv tagt eine Gruppe. Die Tür steht auf. Themen sind eine Demonstration am 24. Juli, zu der die Floristen 800 Linke erwarten, die After-Demo-Party in der Flora und das Sicherheitskonzept an der Tür.
Bewohner bereiten sich darauf vor, das Projekt mit allen Mitteln zu verteidigen
Julian*, 19, frisch geschnittene Haare, wache Augen, hat auf der Terrasse eine geraucht. Jetzt malt er an seinem Wandbild weiter, das er sich extra für die Party ausgedacht hat: einen schutzbehelmten Polizisten mit Nikon-Kamera in Anschlag. Ein kleines Gespräch? „Klar“, sagt Julian lässig. Was, wenn die Flora mal nicht mehr ist? „Undenkbar, das bleibt unser Haus“, antwortet er. „Komme, was wolle.“
Plötzlich kommt eine etwa 30-Jährige mit kurzem Haar und kurzem Atem aus der Versammlung geprescht. Mit einer Kopfbewegung schneidet sie Julian das Wort ab.
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Ein Reporter? Sie guckt misstrauisch und abweisend. Die Meinung des Plenums zu aktuellen Entwicklungen komme durch die Äußerungen einzelner nicht richtig rüber. Basta! Julian zuckt mit den Schultern. „Kann man nichts machen“, raunt er.
Wir wissen nicht, wie sich die Situation in den nächsten Monaten entwickelt, bereiten uns aber darauf vor, das Projekt Rote Flora mit allen Mitteln zu verteidigen. Weder werden wir den ökonomischen Standortinteressen der Stadt noch denen anderer Investoren nachgeben oder sonst wie Kreide fressen“, schreibt „Zeck“, die 27-seitige Hauspostille der Flora in ihrer Juli/August-Ausgabe. Da braut sich was zusammen. Im Haus. Und drum herum.

* Namen geändert