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WÜSTE SÖHNE / Nissan N_Magazin (10 Seiten) / 2015

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WÜSTE SÖHNE
Mit einem Serien-GT-R gegen das A-Team aus der Wüste:
Bei vier Viertelmeilen-Duellen gegen McLaren und Mercedes in Abu Dhabi erlebte Autor Jörg Heuer – im Rausch der Geschwindigkeit – ein Märchen wie aus 1001 Nacht
Fotos: Mike Meyer Photography
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Wir stehen startklar in der Beschleunigungsarena. Belauern uns wie Gladiatoren. Halten das Lenkrad umklammert wie die Zügel eines Rennpferdes. Starren an der Startampel vorbei auf das 402,34 Meter entfernte Ziel. Ali und ich. Mann gegen Mann.
Der Asphalt auf der langen Geraden vor uns wirkt im Schein des Flutlichts wie mit Öl eingepinselt. Einige Araber in schneeweißen Gewändern sitzen auf der Zuschauertribüne. Mein Kopf dröhnt vom Krach der Motoren, Turbos laden, Reifen quietschen. Die Kehle kratzt vom Cocktail aus Abgasen, verbranntem Gummi und heißem Teer. Das Herz pocht – bis zum Hals.
Gentleman gegen Godzilla. Morgenland gegen Abendland. Entweder gewinnt Ali mit seinem über hundert PS stärkeren, viel leichteren und gut doppelt so teuren britischen Supersportwagen – oder ich bin über die Viertelmeile schneller mit einem Serien-GT-R. Alle tippen auf Ali. Er selbst wohl auch. Das Wort „verlieren“ kommt in seinem Wortschatz auch gar nicht vor. Der 28-jährige entstammt einer Scheichdynastie und ist längst selbst im Erdölgeschäft tätig. Penthouse mit Meerblick, Falkenzucht, Megayacht – und die Garage voller feinster Pferdestärken: Ali ist das Gewinnen gewohnt. Es ist ihm wichtig, denn Gewinnen kann man nur schwer kaufen.
Ali ist ein sorgenfreier Mann von der Sonnenseite des Lebens. Einer, dem andere aus dem arabischen Kulturkreis schon aus Gründen des Respekts bei sportlichen Auseinandersetzungen freiwillig den Vortritt lassen. Ich nicht, lieber Ali.
Auf dem Yas Marina Racetrack in Abu Dhabi, wo Lewis Hamilton jüngst Formel-1-Weltmeister wurde, trifft sich regelmäßig an zwei Donnerstagen jeden Monats nach Sonnenuntergang die Rennszene aus Abu Dhabi, Dubai und den anderen fünf Emiraten zu einer ganz speziellen PS-Party. Scheichsöhne, Kronprinzen, Millionäre, Asphaltfreaks treten in Beschleunigungsduellen über die Viertelmeile gegeneinander an, testen ihre Reaktionsschnelligkeit, Pferdestärken und vielleicht auch ihren gesellschaftlichen Status.
Auf den Wüstenautobahnen der Emirate am Persischen Golf ist Brettern verboten. Tempoverstöße ahndet die Scheichpolizei mit hohen Bußgeldern bis hin zur Einkassierung des Boliden. Weil es aber hier im Eldorado des Erdöls so viele Superreiche und Supersportwagen gibt wie nirgendwo sonst auf der Welt, weil die Scheichsöhne nun mal meist recht viel Zeit haben und auf Vollgas stehen, geht alle paar Wochen bei der Yas Marina Drag Night die Hölle ab – oder das Paradies.
Da möchte ich gerne dabei sein. Mathia Bellussi, 36, rückt seinen Hut über den langen blonden Haaren zurecht und schenkt mir ein Lächeln. „Keine gute Idee“, sagt der Deutsch- Italiener. Mathia lebt in den Emiraten seit zehn Jahren seinen Traum. Seine Firma VVIP Only tunt vierrädrige Statussymbole der Scheichs. In seinem Telefonbuch stehen die wichtigsten Nummern der – zumeist recht jungen Mitglieder – aus allen wichtigen Familien. Sie sind Kunden und Kumpels, sagt der Edeltuner, der sich in der Racerszene des
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Mittleren Ostens auskennt wie kein Zweiter: „Die Jungs kennen keine Grenzen. Schnell, extrem, verrückt, das ist ihr Ding. Koste es, was es wolle.“
Beim Thema Viertelmeilen-Duelle gegen ein paar Mitglieder seiner Speedgang nimmt Mathias sonst so freundliches Gesicht plötzlich einen spöttischen Ausdruck an. „Mit dem Serienauto hast Du keine Chance“, beharrt er. „Die Golfstaaten-Jungs sind sonst sehr gastfreundlich. Aber nicht auf der Rennstrecke. Schon gar nicht auf der Viertelmeile. Da wollen sie nur eins: gewinnen.“
Er rät mir, besser mit einem getuntem Nissan GT-R anzutreten. Klar, die sind fast unschlagbar. Einer mit 1.700 PS hält aktuell den GT-R Viertelmeilenrekord: 7,98 Sekunden. Bei seiner Rekordfahrt schoss er mit 299 Sachen durchs Ziel. Da kommt dann auch kein Scheich mehr mit.
Mich abzuhängen wird schwer“, beharre ich. Mathia grinst, aber irgendwie scheint er Spaß an meinem Vorhaben zu finden. „Ich werde ein paar Anrufe tätigen“, sagt er. Es dauert nicht lange und er hat meine Kontrahenten zusammen. Einem Kerl aus Deutschland die große Klappe stopfen, ja, das wäre ein Vergnügen. Ahmed, 25, kurzes Haar, Dreitagebart, weißes, knöchellanges Gewand. Und Khalid, 23, lockiges Haar, Siebentagebart, schwarze Kluft. Die Jungmillionäre wirken so entspannt, als kämen sie gerade von einer Massage mit anschließender Wasserpfeifen-Session.
Sunset rot, Wahnsinnswagen“, sagt Ahmed beim Anblick des GT-R, kratzt sich am Kinn und entblößt dabei seine Hublot Big Bang.
Für vier von diesen Uhren bekommt man einen serienmäßigen GT-R, denke ich. Da stelle ich mir doch die Frage: Sind diese Uhren zu teuer oder ist das Auto zu günstig? Ahmed will mich mit seinem weißen Mercedes E 63 AMG, Allradantrieb und über 600 PS, abhängen. Kumpel Khalid, trotz seines jugendlichen Alters schon Präsident des AMG Clubs „Group 63“, steigt aus einem mattschwarzen Mercedes GAD Brabus E 63 S. Der Brabus ist sein Alltagsauto und mit 970 PS unter der Haube die stärkste E-Klasse der Welt, erklärt Khalid mit Augenzwinkern. Jedoch krankt sein Weltrekordler gerade mit einem Getriebeproblem. Nicht sicher, dass er noch fit für die Viertelmeile wird. „Hör mal den Sound“, ruft Khalid, springt auf den Fahrersitz zurück und startet das Monster. Es ist laut. So laut, dass mir der Schrecken in die Glieder führt. Krachmacher, Kraftprotz, Furchteinflößen. Das Adrenalin schießt ein.
Wir sehen uns in Yas Marina“, verspricht Ahmed und klopft mir mitfühlend auf die Schulter. „Denke, das wird ein enges Rennen. Ich habe zwar mehr PS, aber auch mehr Gewicht mitzuschleppen“, sagt er. „Schätze, wir werden auf alle Fälle Spaß haben“, erwidere ich.
Abdulla, 24, arbeitet in Dubai City im gläsernen Bankpalast. Er ist hauptberuflich Broker und steht auf Autos aus Stuttgart und Sindelfingen. Als er den Nissan GT-R umkreist, reibt er sich vorfreudig die Hände. „Für das Modell haben wir hier einen speziellen Namen. Er heißt Troublemaker“, erklärt Abdulla, während sein Blick auf Godzillas mposantem Hinterteil haften bleibt. „Unterschätzen werde ich Dich mit dem Auto auf keinen Fall.“
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Kannst du ruhig“, antworte ich. Abdulla lacht und zupft seine traditionelle Kopfbedeckung zurecht. Dann holt er seinen Mercedes CLK Black Series aus der klimatisierten Tiefgarage, mit dem er mich in Yas Marina herausfordern möchte. „Limited Edition. Über 500 PS“, erklärt er stolz. „Ein guter Sprinter.“ Wird schwer, denke ich. Für ihn!
In Dubai Marina – wo die Emirate am teuersten sind und mit glitzernden Parks und von Stararchitekten entworfenen Freizeittempeln und Wohnpalästen aussehen wie das Übermorgenland – residiert der wohl härteste Herausforderer: Ali, weinrote Slipper an den Füßen, goldene Uhr an der Hand und vor der Tür eine 70-Meter-Yacht. Orientalischer Duft umweht den superreichen Hochgeschwindigkeitsliebhaber.
Als sei es ein Geheimnis, das es gut zu hü̈ten gilt, flüstert er mir zu, mit welchem Wagen er gedenkt, mich morgen Abend zu schlagen. „Den McLaren MP4-12 C. Gemacht in einer britischen Formel-1-Schmiede. Viel Karbon verbaut. Schnell wie ein Falke.“ Er schlägt die Beine übereinander, nippt am Glas Wasser und wartet auf meine Reaktion. „Schöner Exot“, sage ich und lege eine kleine Pause ein. „Aber zu Deinem Sieg möchte ich Dir trotzdem noch nicht gratulieren.“ Seine Reaktion ist einfach nur ein sorgloses Lächeln.
Als am nächsten Tag die Sterne längst wieder am Himmel funkeln, das Thermometer für Mensch und Maschine angenehme 20 Grad zeigt, wird es endlich ernst. Hundert PS-Verrückte tummeln sich mit meist getunten Autos und Supersportlern auf dem Racetrack im Norden Abu Dhabis. Ein Honda mit 1.300 PS, Riesenturbolader
und Lachgaseinspritzung klingt wie eine Mischung aus Maschinengewehr und durchgedrehter Föhn. Der aus allen Ritzen qualmende Kleinwagen hüpft beim Start wie ein wütender Zwerg. Ein Toyota mit Heckantrieb hat so viel Druck, dass die Vorderreifen bei Vollgas von der Felge reißen. Ein paar Autos spucken wie Drachen Feuer oder klingen wie kurz vor der Explosion. Andere pfeifen wie Düsenjäger oder brüllen wie wilde Tiere.
Khalids Brabus kann ich weder hören noch sehen. Ein bisschen bin ich erleichtert. Aber irgendwie auch enttäuscht. Egal, fahre ich eben nur gegen Abdulla, Ahmed und Ali. Gegen das A-Team aus der Wüste!
Los gehts“, sagt Abdulla. Er rollt mit dem Black Series an den Start. Der Einweiser dirigiert uns auf genau dieselbe Höhe. Letzter Check: Racingschalter sind aktiviert, Schaltung steht auf Automatik, linker Fuß auf der Bremse, der rechte touchiert das Gaspedal. Kurz bevor die Ampel auf Grün springt, treibe ich den Motor auf die für den Launch Control-Start abgeregelten 4.000 Umdrehungen. Der Hahn ist jetzt gespannt, die Knarre scharf, und ich erwische den perfekten Moment für den Abschuss: Den linken Fuß blitzartig von der Bremse, der rechte bleibt bei Vollgas. Raketenstart, G-Kräfte, Schussfahrt. Ein atemberaubender Ritt auf der Kanonenkugel. Abdulla hat schon verloren, bevor er richtig in Gang kommt. Nach 11.6 Sekunden fliege ich mit fast 200 Sachen durch die Lichtschranke. „Hut ab, das war ein beeindruckender Auftritt“, sagt Mathia, nachdem ich den Nissan wieder eingereiht habe.
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Ahmed traut sich als Nächster. „Ich habe mir extra Rennanzug und Racingschuhe angezogen“, ruft er mir durchs offene Fenster seines Allrad-AMG zu. Ob ihm das Kostüm hilft, frage ich mich. Ich traue mich nicht, ihn das selbst zu fragen.
Wieder schieße ich wie vom Gummiband gezogen über den Asphalt. Ahmed bleibt mit seinem AMG brav im Windschatten. Keine Fata Morgana. Zwei zu null. Und Mathia beugt sich wieder zu mir herunter: „Respekt. Aber gleich reißt deine Siegesserie. Da wett’ ich drauf.“ Ich halte ihm meine Hand hin. Er schlägt ein. Jetzt also endlich Ali. Der geborene Gewinner am Steuer des britischen Supersprinters. Er hat die linke, ich die rechte Spur. Hütte ich mal lieber nicht noch – 70 Liter für 20 Euro – vollgetankt, stattdessen Rennreifen aufgezogen oder wenigstens die schweren Rücksitze ausgebaut. Solche Gedanken fliegen mir durchs Hirn, bevor ich final den Atem anhalte und die Startampel anstarre.
Genau 11,569 Sekunden später ist es Realität. Mein Märchen aus 1001 Nacht. Ich bin zwei Zehntel schneller als Ali, der sich mit seinem elektronischen Startsystem verhaspelt, als die Ampel auf Grün springt. Drei zu Null. Ich kann es fast nicht glauben. Ali auch nicht. Doch jetzt das Wort „verlieren“ in seinen Wortschatz aufnehmen, dazu ist er nicht bereit.
Er bittet um eine zweite Chance. Aber gerne doch. Auch beim zweiten Duell springt Godzilla angriffslustiger los. Wieder schießen die Flutlichter vorbei wie brennende Pfeile. Und wieder jage ich vor Ali durch die Lichtschranke.
Im Schritttempo rolle ich zum Fahrerlager zurück. Mathia klopft an mein Fenster. Er schaut mich an, als hätte er gerade einen roten Dinosaurier richtig schnell rennen sehen. Er räuspert sich. „Ali hat das Rennen gewonnen“, erklärt er. „Er ist zwar nach dir durchs Ziel, aber die Zeitmessung besagt, dass er auf der Strecke einen Hauch schneller war. Ist wegen seines schlechten Starts sicher etwas irritierend, oder?“
Ja, ist es. Aber entspricht wohl dem Reglement. Das berauschende Hochgefühl jedoch bleibt. Ich atme noch einmal tief diesen herrlichen Cocktail aus Abgasen und verbrannten Gummi ein und strecke Ali meinen rechten Daumen entgegen. Da fällt mir ein Zitat ein, das ich mal aufgeschnappt habe: Einen Sieg kann man verschenken, eine Niederlage hingegen muss man selbst einstecken. Glücklich erwidert er meine Geste.