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Es war einmal in Amerika / MANUAL (12 Seiten) / 2015

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Es war einmal in Amerika
Fünf deutsche Männer, die sich auf das Lebensabenteuer New York eingelassen haben. Verschiedene Lebensentwürfe, verschiedene Branchen, ein Ziel. Auf dem härtesten Pflaster der Welt zu bestehen. Der eine tut das bereits seit über zwanzig Jahren, der andere erst seit gut zwei. Hier sind ihre Geschichten:
Fotos: Martin Schoeller, Lauren Juratovac
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FELIX:
„AM HUDSON SCHLÄGT DAS HERZ DER WELT“
Nach dem Journalismusstudium in München ging er auf Weltreise. Für Arte produzierte er den Musikblog „Tonspur“. Auf Samoa begleitete er eine Blaskapelle. In Ghana traf er die Witwe von Reggae-Ikone Bob Marley. „Das Reisevirus hatte mich erwischt“, erklärt Felix Zeltner in einem Café am Hudson River und blickt einem Schiff hinterher. 2011 tourte er erstmals durch die USA. New Orleans, Memphis, Miami, Los Angeles – und New York. Da geschah es. In seinem Kopf entstand die Idee, nach New York umzusiedeln. „Ich wusste, die Stadt ist perfekt für mich. New York ist eine Idee. Alle Leute kommen hierher, um etwas zu schaffen, und daraus entsteht eine besondere Energie. Letztlich ist New York ein riesiges Start-up. Davon Teil zu sein, mehr geht doch nicht.“
In Deutschland fühlte sich der gebürtige Franke eingeengt. In New York könne er über sich hinauswachsen. Das war seine Hoffnung. Als seine Frau 2013 eine Korrespondentenstelle angeboten bekam, war klar: „Machen wir!“ Sie fanden eine Wohnung – 60 qm für 3.000 Dollar – in der Upper East Side. In der Gegend des alten Geldes wohnen auch Madonna oder Woody Allen.
6.000 Dollar muss Freelancer Felix jeden Monat verdienen, damit sich das Ehepaar mit Baby das Leben am Central Park leisten kann. „Meine Auftraggeber sind Verlagshäuser und Banken, für die ich Websites und Newsletter relaunche und Strategiepapiere schreibe. Zudem habe ich die Musikplattform Soundfriend gegründet,
produziere Filmbeiträge und Reportagen“, erklärt er. „Für mich schlägt am Hudson das Herz der Welt. Das Leben und Überleben ist ein aufregendes Abenteuer. Ein ständiges Austeilen und Einstecken, gegen und durch die Wand rennen. So anstrengend das ist, soviel Freude macht es mir. Ich habe gefunden, was ich gesucht habe.“
Er möchte Schnittstelle zwischen Amerika und Deutschland sein. Berater und Macher, Ideengeber und Initialzünder. Daran arbeitet er, besucht Ausstellungen, Meetings, Workshops, trifft „Leute mit irrsinnig guten Ideen und Mut zum Scheitern“. „Alles, was ich hier erlebe, ist besser als in Deutschland.“ Vor zwei Monaten hat er die Greencard bekommen. Jetzt darf er auch für amerikanische Auftraggeber arbeiten. „Ich fühle mich zu Hause“, resümiert der Ex-Nürnberger seine zweieinhalb Jahre Big Apple. „Und jetzt schalte ich den Turbo ein.“
RENE:
„MEIN LEBENSTRAUM HAT SICH VOLL ERFÜLLT“
Nach der Bundeswehr hat er die Schifffahrtslehre begonnen und abgebrochen. Die Kaufmannslehre hat er durchgezogen. Doch Kaufmann wollte er nicht werden. Er ging lieber nach New York, um Politik und Journalismus zu studieren. „Ich hatte mich aufs Filmen spezialisiert. Wir von der Filmfakultät waren eine coole Truppe. Und nach fünf Semestern hatte ich den Bachelor in der Tasche“, erklärt Rene Bastian. Marc Forster, später Bond-Regisseur von „Ein Quantum Trost“, war einer seiner Kumpels.
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Und die Zeiten waren damals in New York, 1993, sehr gut für Filmschaffende. Bei Forsters erstem Kurzfilm machte der norddeutsche New Yorker den Beleuchter. 1994 gründete er seine eigene Produktionsfirma, die in den ersten Jahren aus dem Schlafzimmer heraus operierte: BellaDonna Productions. „Mir war das Risiko bewusst“, sagt der Filmproduzent. „Egal, was du hier in New York machst, du konkurrierst mit den Besten der Welt. Doch ich traute mir das zu. Der New Yorker Spirit, das Tempo, ich hatte einfach das Selbstbewusstsein zu sagen: Ich bau hier was Großes auf.“
Es ging gut los mit Musikvideos und Werbefilmen. Sein erster Spielfilm 1997 – „Sue“ – gewann bei der Berlinale einen Jurypreis.
Die Budgets stiegen schnell und bewegten sich im Rahmen von 60.000 bis 15 Millionen Dollar. Bis heute hat er 25 Spielfilme produziert und dabei mit Regisseuren wie Oscar-Preisträger Michael Haneke und Jim Mickle, mit so berühmten Schauspielern wie Robert Downey Jr., Naomi Watts, Cynthia Nixon, Sam Shepard, Bill Sage und Don Johnson zusammen gearbeitet. Sein Film „Transamerica“ von 2005 – Hauptdarstellerin war die Desperate Housewife Felicity Huffman – gewann einen Golden Globe und wurde in zwei Kategorien für den Oscar nominiert.
Meine Produktionsfirma hat acht feste Mitarbeiter. Momentan arbeiten wir für den Sundance Channel an einer Serie. Ein Noir Thriller. Für die erste Staffel planen wir sechs Folgen“, sagt Rene Bastian, der verheiratet ist, einen alten Mercedes fährt und im boomenden Brooklyn auf 180 Quadratmetern für knapp
5.000 Dollar Miete wohnt. „Was Erwartungen, Aufregungen und Abenteuer betrifft, hat sich mein Lebenstraum hundertprozentig erfüllt. Manchmal muss ich mich sogar kneifen. So viel Glück hat mir New York gebracht.“
MARIAN CHRISTIAN:
„ICH ARBEITE 100, 110 STUNDEN DIE WOCHE“
Bis zur 10. Klasse hat er sich an einem Hamburger Gymnasium abgequält. „Dumm war ich nicht“, erklärt der sportliche Norddeutsche. „Nur faul.“ Mit seinen Noten würde er es nicht bis zum Abi schaffen. Die Lösung: die USA! Eine Privatschule in Pennsylvania. Die Eltern zahlten 25.000 Dollar fürs Schuljahr.
Nach den Sommerferien 2007 ist Marian Christian Müller-Wolf über den großen Teich geflogen – und hat sich in der Fremde sofort „sauwohl“ gefühlt: „Der Unterricht war spezifiziert und spannend“, sagt er während der Mittagspause am Broadway. Aus Faulheit wurde Wissbegierde. Er war nicht mehr nur in Sport spitze, er schaffte das Abi als Klassenbester. „Die in den USA weitverbreitete wettbewerbsorientierte Einstellung ist längst auch außerhalb von Fußball- und Tennisplatz meine prägnanteste Charaktereigenschaft“, erklärt der HSV-Fan. „Ich will überall Sieger sein.“ Mit Stipendium in der Tasche studierte er Betriebswirtschaft und Politik. Nach acht Semestern war er fertig. Dann der Start ins Arbeitsleben. Natürlich in New York. Ein Job bei einer Großbank in der wichtigsten Banken- und Finanzmetropole, das war sein Traum.
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Er erfüllte ihn sich. „Seit zwei Jahren arbeite ich jetzt als Analyst in der Investment Abteilung der BNP Paribas Bank“, erklärt er mit amerikanischem Strahlemann-Grinsen. „Wir beraten Unternehmen beim Kauf und Verkauf von Firmen.“ Sein Büro liegt im 28. Stock unweit des Central Parks. 100, 110 Arbeitsstunden die Woche sind normal: „Das hört sich in Deutschen Ohren sicher irre an, aber ich mache das gerne. Wenn so richtig lernen und klotzen, dann hier und jetzt. Später will ich es mir leisten können, ruhiger zu treten. Das kann ich nur, wenn ich jetzt richtig Gas gebe.“
Sein Diensthandy hat stets oberste Priorität. Klingelt es, muss er Clubbesuch, Fußballspiel oder Tiefschlaf beenden und ins Büro eilen. Doch dafür kann er sich sein 2.500 Dollar teures, winziges Appartement in Manhattan, das er sich mit seiner Freundin teilt, locker leisten. 85.000 Dollar Grundgehalt kriegt er. Wenn es läuft, kommen Bonuszahlungen in gleicher Höhe oben drauf. Und es läuft! „Ich konsumiere keine Drogen und lebe bescheiden“, sagt er. Nur nach Abschluss seines ersten Projekts hat er sich eine Luxusuhr für 3.000 Dollar geschenkt. Seine Kollegen tragen dickere Uhren, teurere Anzüge und feiern ausschweifender. Er hingegen spart eisern. In ein paar Jahren will er das Grundkapital für seine eigene Beratungsfirma zusammen haben. Eine sechsstellige Summe hat er schon jetzt auf der hohen Kante. Alles selbst verdientes Geld.
PHILIPP:
„ICH LEBE SEHR GERNE IN BROOKLYN“
Vater, Tanten, Onkel, alles Architekten. Da war auch bei ihm früh klar, in welche Richtung es geht. Und auch seine Liebe zu New York hat er früh entdeckt. Seine Tante lebte am Hudson River, und Philipp von Dalwig besuchte sie oft. Mit einem DAAD-Stipendium machte er nach dem Architekturstudium in Deutschland im Jahr 2000 in New York an der Colombia University seinen Master. Er lebte zwischen Räucherstäbchen und Hühnerfüßen in einer winzigen Wohnung in Chinatown und fand seinen ersten Job in einer Werbeagentur. „Eine gute, lehrreiche und aufregende Zeit“, sagt er. Bei einer Schokoriegel-Kampagne hat er Muhammad Ali kennengelernt. Beyoncé Knowles, als sie für Pepsi Reklame machte.Nach fünf Jahren Werbung ist er von Chinatown nach Brooklyn gezogen und hat gemeinsam mit seiner von Hawaii stammenden Frau die eigene Firma gegründet: Manifold Architecture Studio. Sehr designorientiert spezialisierten sie sich auf den Um- und Ausbau von Wohnungen, Häusern und Geschäften. Gemeinsam mit den Olsen Twins erarbeitete Philipp Konzept und Design für den ersten Superga-Flagship-Store in Nordamerika. Sein Architekturbüro hat sechs Mitarbeiter, macht gute Umsätze und erhielt Auszeichnungen von der New Yorker Architektenkammer: Den New Practices New York Award und den Brooklyn Design Award.
Das 190 Quadratmeter große, über zwei Etagen reichende Eigenheim in Brooklyns Clinton Hill, in dem er mit seiner
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Familie lebt, war mal eine stinknormale Garage. Die von Dalwigs kauften sie und bauten sie zu ihrem Traumhaus um. Das Magazin der New York Times widmete dem stylishen Garagenhaus mit Dachterrasse und Glas überdachtem Innengarten eine ganze Story. Auch der Artikel brachte ihm neue Aufträge von Cafés, Modeläden und meist sehr wohlhabenden New Yorkern ein. „Die nächsten eineinhalb Jahre sind wir ausgebucht“, sagt der Ex-Mainzer, der Projekte zwischen einer bis drei Millionen Dollar Budget bearbeitet.
Und, wie lebt es sich in Brooklyn? „Auch hier gibt es nervige Nachbarn. Den Bäcker, bei dem du jeden Tag dein Brot kaufst. Die drei Kneipen, die du in deinem Kiez besuchst. Die Post, bei der du anstehst. Den Typen, der seinen Hund auf dem Bürgersteig vor deinem Haus kacken und den Haufen einfach liegen lässt. Alles ganz normal. Na ja, fast normal. Es ist eben New York. Die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten.“
MARC:
„IN NEW YORK ARBEITSLOS SEIN IST KEIN VERGNÜGEN“
„Ich bin auf einer Us-Militärbase in München aufgewachsen, weil mein Vater dort gearbeitet hat“, sagt der Ex-Bayer. Kein Wunder, dass die amerikanische Lebensweise ihm zusagt. 1986 war er das erste Mal in New York und dachte: „Was für ein Abenteuer. Die Stadt war damals noch ganz anders. Geheimnisvoll, gefährlich und verrucht. Ich beschloss: Irgendwann lebe ich mal hier. Dies ist meine Stadt.“
Bis 1999 flog er jedes Jahr hinüber in die Stadt seiner Träume. Jedes Mal fiel der Abschied schwerer. In Deutschland entwickelte er sich zum IT-Spezialisten und jobbte vor allem, um sich die New York Reisen leisten zu können. Und kurz vor der Jahrtausendwende buchte er dann tatsächlich das One-Way-Ticket. „Ich wollte in der boomenden Internetindustrie mitmischen, wo sie am spannendsten ist. Wo die Zukunft gemacht wird“, sagt er. „In New York.“
Ein Kumpel betrieb am Hudson eine Agentur, wo der Münchner mit amerikanischer Staatsbürgerschaft anfangen konnte. „Wir haben Claudia Schiffers Homepage betreut, für Enrique Iglesias, Ricky Martin und Papst Johannes Paul II. den Desktop-Kalender gemacht“, sagt er. Ein Jahr später hat die Agentur dicht gemacht. „In New York arbeitslos zu sein, ist kein Vergnügen“, erklärt er. Nach ein paar weiteren Jobs heuerte er bei der UN an, betreute als Webmaster die Internetseite unwoman.org und verwaltete eine Diskussionsplattform für Spitzenpolitiker. Das Problem war: Die UN zahlte weder die Krankenversicherung, noch bekam er bezahlten Urlaub vom Arbeitgeber. Er zog oft um, die Mieten betrugen zwischen 2.000 und 3.000 Dollar, es folgten Jobs in Werbung und Unternehmensberatung. Sein Rekordverdienst: 145.000 Dollar im Jahr. Doch 2013 erwischte es ihn wieder. Er wurde erneut arbeitslos. Und fand ein ganzes Jahr lang keinen Job. „Ersparnisse futsch, Kreditkarten überzogen, die Wohnung kaum noch zu halten. Es sah düster aus. Ich hatte mir schon überlegt, zu welchem Kumpel
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ich ziehe“, sagt Marc. Aber zurück nach Deutschland zu gehen, war keine Option.
Vor zwölf Monaten ergatterte er den Job als Digitalmanager beim Werbegiganten Ogilvy. Büro am Kreuzfahrtterminal, 125.000 Dollar Jahresverdienst, eine 40 bis 50 Stundenwoche, bezahlbare, große Wohnung draußen im ruhigen Westchester, nördlich der Bronx. Alles gut. „Ein richtiger New Yorker geht zu Boden und steht wieder auf“, sagt er.