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Auf kurze Distanz / Lufthansa Exclusive (8 Seiten) / 2013

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Auf kurze Distanz
Mit extrem intensiven Porträts von Barack Obama, Robert de Niro, Quentin Tarantino und anderen Stars hat sich der deutsche Fotograf Martin Schoeller in den USA einen Namen gemacht. Heute gibt es nicht mehr viele Mächtige und Berühmte, die er noch nicht fotografiert hat. Ein Besuch bei einem Mann mit Mission
Fotos: Martin Schoeller/August; Michael Wilson
Es sind noch drei Stunden bis zum Fotoshooting mit dem Schauspieler Bradley Cooper. Es soll in einer Suite des feinen New Yorker Greenwich Hotel in Manhattan stattfinden. Doch plötzlich kommen dem Starfotografen Martin Schoeller ernste Zweifel an seinem Plan – und neue Ideen. Der 44-Jährige hat schlecht geschlafen, wie immer vor einem wichtigen Shooting. Hat lange gegrübelt, was alles schief laufen kann. Jetzt schickt er seine Studiomanagerin Lisa noch schnell los, Stricknadeln und Wolle kaufen. Einer seiner drei Assistenten bekommt den Auftrag, eine Ukulele zu besorgen. Martin Schoeller selbst holt aus seiner großen Eigentumswohnung, die direkt unter seinem Studio in der dritten Etage eines alten Speicherhauses in Manhattans Szenebezirk Tribeca liegt, drei ziemlich ramponierte Elektrohubschrauber. Mit Fingerspitzengefühl und neuen Batterien versucht er die kleinen Brummer zum Fliegen zu bringen.
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Vergeblich, sie bleiben am Boden. Die Spielzeug-Helikopter hat Schoeller mal für seinen Sohn Felix, gerade vier geworden, gekauft. Jetzt hätte er sie gerne beim Shooting mit dem 2011 zum „Sexiest Man Alive“ gekürten Bradley Cooper dabei. Der 38-jährige Cooper wurde mit Rollen in Filmen wie „Hangover“ oder „Silver Linings“ bekannt, letztere brachte ihm 2013 eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ ein.
Cooper gilt in Hollywood als der wichtigste Aufsteiger der letzten Zeit, einer, von dem noch viel zu erwarten ist. Passt also ganz gut, dieses Zusammentreffen. Schließlich ist der deutsch-amerikanische Fotograf Martin Schoeller auch so ein Durchstarter. Das Wichtigste in Kürze, für ein erstes Bild: in München geboren, in Frankfurt aufgewachsen, seit 20 Jahren in New York, verheiratet, Jeans, Shirt, schwere Boots, Rastalocken, einen 11 Jahre alten VW-Bus vor der Tür. Seine Bilder erscheinen meist zuerst im New Yorker, in Time, Rolling Stone, Esquire, Vanity Fair, Harper’s Bazaar, National Geographic, People – und dann in der ganzen Welt. Auch große Auto,- Arzneimittel- und Kosmetikhersteller, Banken und Versicherungen, Medien- und Energiekonzerne engagieren ihn für Werbekampagnen. Für eine Adoptions-Stiftung und eine Stiftung, die gegen Multiple Sklerose kämpft, fotografiert Greenpeace-Mitglied Schoeller auch schon mal ohne Honorar. Er beschäftigt sechs feste Mitarbeiter, denen er insgesamt 25000 Dollar an Monatsgehältern zahlt – ganz okay, findet er. „Ich habe in New York ganz klein angefangen, in Bruchbuden gewohnt, mich von Pizza
und Bier ernährt“, erinnert er sich an den Beginn, „heute bin ich gut im Geschäft und will auch etwas für die Gesellschaft tun.“
Gerade hat er von einem Magazin den Auftrag, eine Reihe von Schauspielern abzulichten, die für den Oscar nominiert waren. Seine Fotoidee, so einfach wie genial: „Die Stars gehen super aufgebrezelt alltäglichen Tätigkeiten nach.“ Bradley Cooper ist sein letzter Protagonist für diese Serie. Sally Field, Jessica Chastain, Naomi Watts, Amy Adams, Anne Hathaway und Robert de Niro hat er bereits im Kasten. Er hat sie in Galakleidung gehüllt und dann witzige, perfekt ausgeleuchtete Fotos gemacht: Anne Hathaway reinigt die Regenrinne, Naomi Watts räumt auf, Amy Adams schneidet die Gartenhecke. Robert de Niro hockt im schwarzen Anzug und mit offener Fliege eingezwängt in der U-Bahn, hält eine Banane in der Hand und guckt reichlich mitleiderregend. „Ich fotografiere ihn gerne“, erklärt Schoeller, „er respektiert meine Ideen, macht eine Menge mit.“ Auch mit seinen aufwendig inszenierten Bildern der anderen Hollywood-Heroen ist Schoeller „ganz zufrieden“. Er hatte jeweils zwei bis drei Stunden mit ihnen gearbeitet, das reichte für mehrere Motive. Doch Bradley Cooper hat ihm bislang nur zugesagt, dass er ihn im Greenwich Hotel beim Rasieren fotografieren darf. „Das ist ein Anfang“, sagt Schoeller lächelnd, „ich will schon mehr mit ihm machen, ein bisschen spielen.“ Die Wahrheit ist: Er will Bradley Cooper in die Badewanne kriegen, beim Stricken und mit Ukulele ablichten. Ein ehrgeiziges Projekt.
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„Martins Fotos besitzen hohen Wiedererkennungswert, ein ganz eigenes Gütesiegel“, sagt Elisabeth Biondi, 66, die – wirklich ganz zufällig, wie beide beteuern – vorbei gekommen ist. Sie war 15 Jahre beim legendären New Yorker für die Optik zuständig. „Als ich ihn kennenlernte, war er weder bekannt noch erfolgreich“, blickt sie auf Schoellers Anfänge zurück, „heute ist er es, und zum Glück ist er der Gleiche geblieben.“ Schoeller hört aufmerksam zu und nickt: „Eine Zeitlang hatte ich richtig Angst vor dir. Du hast mich hart gefordert“, sagt er, „du bist ein ganz wichtiger Mensch in meinem Leben.“ Es stimmt: Seine Fotos überraschen, berühren, erzählen Geschichten. Sie zwingen zum Hingucken, jonglieren mit Märchen- und Filmmotiven. Sie versprühen frechen Witz, mal schroffen Charme, oft auch bissige Ironie.
Schoellers Markenzeichen aber sind jene extremen Close-ups, die an Authentizität und Eindringlichkeit kaum zu steigern sind. Extreme Nahaufnahmen: Barack Obama, die Clintons und Angela Merkel, Brad Pitt, Clint Eastwood und George Clooney, Quentin Tarantino, James Cameron und David Lynch, Angelica Jolie, Julia Roberts und Meryl Streep, Jay-Z, Sting und Prince, alle hat er so fotografiert. Auch Dopingspezialist Lance Armstrong, Fußballgott Pelé, die Tycoons Donald Trump und Ted Turner. Es gibt nicht mehr viele Mächtige oder Berühmte, die er noch nicht so fotografiert hat in seinem transportablen Studio. Er nimmt es immer mit, in die Hollywood Hills und ins Weiße Haus, und selbst wenn er Naturstämme in Tansania und am Amazonas oder Obdachlose in Brooklyn fotografiert.
Es besteht aus acht von schwarzer Pappe gerahmten Neonröhren, einem Blitz, zwei schwarzen Vorhängen, grauem Hintergrund und dem Sitzhocker – that’s it.
Wenn er fotografiert, läuft stets Musik im Hintergrund. Schoeller bereitet sich vor, er weiß um die Lieblings-Gesprächsthemen und Hobbys seines Gegenübers. „Wenn der Porträtfotograf aufhört zu quatschen, hat er verloren“, nennt Schoeller seine wichtigste Maxime. Bei jedem Auftrag ist Schoeller auch auf der Jagd nach diesen „Headshots“. Nach ungeschminkten Gesichtern in porentiefem Großformat, die eine neue Geschichte über diesen Menschen erzählen, den Betrachter in ihren Bann ziehen. 43 Muskeln zaubern an die zehntausend unterschiedliche Gesichtsausdrücke – für den Fotografen ist es eine Kunst, den richtigen Augenblick zu erwischen.
Close-ups sind meine Mission und Leidenschaft. Wenn sie was werden, sind sie ehrliche, im Gedächtnis bleibende Bilder“, sagt der kreative Kopfjäger, der sich auch als Chronist versteht. „Staatsmännische Steifheit von politischen Schwergewichten und das langweilige Hollywood-Strahlegrinsen fotografiere ich ungern. Es ist unbefriedigend. Und wenn schon keine guten Close-ups möglich sind, weil die Stars diese intensive Nähe nicht zulassen oder weil sie das Posen nicht lassen können, dann will ich doch immer auch wenigstens meinen Humor einbringen. Mutige, verrückte Bilder machen. Dafür kämpfe ich mit meinen Auftraggebern, den Protagonisten, den Beratern und Agenten. Das ist ein ewiger Fight. Mein Job. Ich liebe ihn.“
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Die Headshots katapultierten Schoeller, der drei Jahre bei Annie Leibovitz assistierte, der Großmeisterin der smarten Glamourfotografie, in die Eliteliga. Sein Bestseller „Close Up“ mit Jack Nicholson auf dem Cover erschien in 70 Ländern, verkaufte sich allein in Deutschland 20 000 Mal. Zwei weitere Bücher folgten, für die Schoeller Bodybuilderinnen und zuletzt Zwillinge porträtierte.
Jetzt also Bradley Cooper. Der Fotograf, drei Assistenten, die Visagistin, zwei Stylisten mit drei Kleiderstangen voller edelster Klamotten, dazu die Redakteurin des Magazins, alle warten gespannt in der Hotelsuite auf den verspäteten Star. Lichtanlagen, Close-up-Studio und Buffet sind längst aufgebaut. Musik wummert aus den Boxen. Stricknadeln, Wolle und Ukulele liegen für den Einsatz bereit. Plötzlich kommt der Schauspieler hereingeschneit, die unvermeidliche PR-Dame, das Smartphone zwischen Schulter und Ohr geklemmt, im Schlepptau. „Hi, I’m Bradley“, sagt er, zeigt seine makellosen Zähne, schüttelt Hände, wirft sein weißes Basecap aufs Sofa und lässt die Jeans runter. Ohne Worte schlüpft er in Anzughose und Lackschuhe, schnappt sich ein weißes Unterhemd und geht schnurstracks ins Bad, um sich fotografieren zu lassen. „Ein Mann in Eile“, flüstert die Visagistin, die beiden Stylisten gucken ein wenig pikiert.
Nur Schoeller bleibt ganz cool. Er weiß, dass alle Schauspieler immer scharf auf tolle Fotos sind. Sie wollen gut aussehen. „Am besten 10 Jahre jünger und zehn Kilo leichter“, sagt der Fotograf. Erstmal also ein kleiner Plausch über das Shooting kürzlich
mit Robert de Niro: Was der alles mitgemacht hat! Ein paar Probeschüsse. Leichte Korrekturen am Licht. Dann die Haare nass machen, Schaum ins Gesicht, den Rasierer in die rechte Hand. Und immer weiter Smalltalk. Nach 20 Minuten ist das Bad-Bild, wie Schoeller es sich vorstellt, im Kasten. Aber jetzt: im Sessel sitzen und Ukulele spielen? Oder auf dem Bett einen Burger mampfen? Schoeller schlägt dem Schauspieler vorsichtig weitere Motive vor. Doch Cooper blockt brüsk ab. Zu gewagt, meint er, seinem Image nicht dienlich. Die PR-Lady nickt nur und checkt die Uhr. Stricknadeln und Wolle lässt Schoeller lieber beiseite. „Ich kann ihn ja nicht zwingen“, raunt er enttäuscht. Er würde gerne ein viel verrückteres Foto von Cooper machen als das beim Rasieren. Er weiß genau, es würde gut aussehen und sich prima verkaufen. Aber sein Close-up kriegt er noch. Wieder 20 Minuten reden, 50, 60 Mal den Auslöser drücken. Dann erwischt er ihn, endlich. Den perfekten Moment. Und Bradley Cooper verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. „Mein Auftraggeber ist happy, ich nicht so ganz“, bilanziert Schoeller den Ertrag. Er freut sich auf ein paar freie Tage, später geht er die paar Schritte zu Fuß nach Hause in sein zwischen Hudson und Broadway gelegenes Loft im Tribeca.
Doch am nächsten Morgen arbeitet er schon wieder. Er will endlich auch ein gutes Close-up von seinem kleinen Sohn Felix haben. Doch der macht Faxen, zappelt und zieht Grimassen, wie bei allen vorherigen Versuchen auch. Martin Schoeller will schon aufgeben, da kommt ihm eine Idee.
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„Mensch, Felix“, sagt er gewitzt, „du bist ja schwerer zu fotografieren als Darth Vader und alle Jedi-Ritter zusammen.“ Plötzlich sitzt der Sohn still. Zeigt sein wahres Gesicht. Und Papa drückt auf den Knopf.