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Kernwaffen spalten ein Eifel-Dorf / Hamburger Abendblatt und Welt (Seite 3) / 2010

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Kernwaffen spalten ein Eifel-Dorf
In Büchel lagern die letzten Atomsprengköpfe auf deutschem Boden. Jetzt nährt Barack Obamas Abrüstungsinitiative bei den einen die Hoffnung, dass sie bald verschwinden. Andere hingegen bangen um Hunderte Arbeitsplätze, die der Militärstützpunkt der ganzen Region bislang geboten hat
Foto: DPA
Stahlgraue Wolken hängen über der landschaftlich so herrlichen Vulkan-Eifel. Der frische Frühlingswind pfeift durch die Wipfel der Fichten. Und durch den Sicherheitszaun, der den Fliegerhorst des Jagdbombergeschwaders 33 von der Außenwelt abschottet.
Gut 1000 Bundeswehr- und 170 amerikanische Soldaten sowie zwei Staffeln Tornado-Kampfflugzeuge sind hier stationiert. Die US-Einheit ist verantwortlich für den Waffenvorrat der höchsten Sicherheitskategorie. Genauer gesagt: für die Verwahrung, Wartung und Bewachung der einzigen Atombomben auf deutschem Boden. Zehn bis 20 US-Kernwaffen sollen hier lagern. Es sind Überreste der nuklearen Hochrüstung während des Kalten Krieges. Jede Bombe des Typs B-61 soll eine Sprengkraft haben, die - nach unterschiedlichen Schätzungen - dem Zehn- bis 26-Fachen der Hiroshima-Bombe entspricht. Genaue Angaben über die unterirdisch gelagerten Sprengköpfe bleiben militärisches Geheimnis.
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Im Prinzip will niemand solche Massenvernichtungswaffen in seiner Nähe haben, auch die Menschen in dem Eifel-Dorf Büchel und seiner Umgebung nicht. Und doch spalten die Bomben die Region, seit US-Präsident Barack Obama eine neue Initiative zur weltweiten Atomabrüstung startete. Denn der Stützpunkt bei Büchel, einem Ort mit 1200 Einwohnern, ist der größte Arbeitgeber weit und breit in der strukturschwachen Eifel. 800 Zivilisten aus der Umgebung verdienen ihr Geld direkt auf dem Fliegerhorst oder in Betrieben, die von ihm abhängig sind. Deutsche und amerikanische Steuerzahler müssen täglich etwa eine Million Euro aufbringen, um den Flughafen am Laufen zu halten.
Bewaffnete Feldjäger patrouillieren zu Fuß, mit Jeeps und Kleinbussen Tag und Nacht hinter dem neun Kilometer langen Zaun. Auf einem kleinen Schild am Haupttor steht handschriftlich hingekritzelt "Gefährdungslage Alpha". Was das bedeutet? "Ich bin nicht befugt, Ihnen Auskünfte zu erteilen", sagt der Wachhabende schroff.
Die Stimmung ist angespannt - in der Kaserne, in Büchel, in der ganzen Verbandsgemeinde Ulmen, die Büchel und 15 weitere Dörfer mit insgesamt 11 000 Einwohnern vereint. Denn schon am Donnerstag wollen Obama und sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew in Prag ein erstes Abkommen zum Kernwaffen-Abbau unterzeichnen. Ende April konferieren dann die Verteidigungsminister der Nato-Staaten in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Thema auch dort: die atomare Abrüstung. Und jüngst haben die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen
in einem Antrag mit dem Titel "Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen" die Bundesregierung aufgefordert, sich für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen. Das heißt: Abzug aus Büchel.
Elke Koller hat die Kernwaffen direkt vor der Nase. Sie lagern in Bunkern nur wenige Kilometer Luftlinie von ihrem Haus entfernt. Die 67-Jährige sitzt bei Kaffee und Keksen im Wohnzimmer ihres Bungalows in dem kleinen Kaff Leienkaul (auf Eifeler Platt bedeutet das Schiefergrube), den sie vor 30 Jahren gekauft hat. Das Grundstück ist 10 000 Quadratmeter groß - ein Naturparadies mit Büschen und Bäumen, großen Wiesen, einem Fischteich und einem Teehaus am Hang.
Die Apothekerin, die in Ostfriesland aufwuchs und in Hamburg Abitur machte, schaut aus dem großen Wohnzimmerfenster in Richtung Westen. Der weite Blick über die hügelige Eifel ist zwar atemberaubend, "jedoch leider auch atomverseucht", klagt Elke Koller. Sie hat nicht mehr viele Freunde hier. Rund um den Flugplatz hat sie gar keine mehr. Deshalb meidet sie die Dörfer. Sie kauft lieber da ein, wo man sie nicht kennt.
Als sie 1996 bei der Lektüre eines Nachrichtenmagazins erfahren hat, dass der Blick von ihrem Grundstück aus auch über unterirdische Munitionsbunker geht, in denen Nuklearwaffen lagern, begann sie ihren "Kampf gegen die Bombe". Die ehemalige Kreistagsabgeordnete der Grünen war "geschockt, empört und entsetzt", sagt sie: "Hätte ich gewusst, dass ich hier Nuklearwaffen vor der Nase habe, hätte ich dieses Haus niemals gekauft.
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Dann wäre ich nicht hierher gezogen."
Sie schloss sich 1996 der Friedensbewegung an. Sie demonstrierte, knüpfte internationale Kontakte, verteilte Flugblätter, hielt auf Ostermärschen und am Rande von Abrüstungskonferenzen Reden, organisierte Workshops. Ihr Lebensziel: "Die Nuklearwaffen müssen weg."
"Ich war hier lange Einzelkämpferin, sogar meine grünen Parteifreunde hatten mich im Stich gelassen, weil sie Angst vor der Bevölkerung und dem Verlust von Wählerstimmen hatten", erinnert sich Elke Koller und schüttelt dabei bitter lächelnd den Kopf. "Die Leute in den Orten rund um den Fliegerhorst haben mich angepöbelt. Teilweise tun sie es auch heute noch. Ich wolle ihnen wohl die Arbeitsplätze wegnehmen und solche Sachen. Und in der Apotheke, in der ich ab und zu noch aushelfe, wollen sich manche Kunden von mir nicht bedienen lassen."
Seit Barack Obama US-Präsident ist und vor Hunderttausenden Zuhörern in Prag seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt verkündete, seitdem die atomare Abrüstung wieder auf der Agenda der Weltpolitik steht, hat Elke Koller neue Hoffnung geschöpft. Jetzt ist sie sich sogar sicher: "Die Sprengköpfe kommen weg. Ich habe schon etwas von 2012 munkeln hören. Im besten Falle handelt es sich nur noch um wenige Monate. Dann habe ich endlich meinen Frieden hier."
Alfred Steimers (50), Mitglied der CDU, ist seit Kurzem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Ulmen und somit auch zuständig für Büchel. Die Arbeitslosenquote in seiner
Gemeinde betrage nur knapp fünf Prozent. Fiele der umstrittene Atomwaffen-Airport weg, würde sie auf 20 Prozent hochschnellen. "Nur solange die Nuklearwaffen hier lagern, sind Flugplatz und Arbeitsplätze sicher. Für die Region ist der Platz eine echte Existenzfrage", sagt Steimers. "Werden die Sprengköpfe abgeschafft, könnte der gesamte Fliegerhorst infrage gestellt werden. Er wäre nicht der erste. In Berlin ist das Geld knapp."
Werden die Atomwaffen abgezogen, gehen in diesem Teil der Eifel die Lichter aus: Das befürchten in Büchel und Umgebung der italienische Gastwirt ebenso wie die Tankstellen-Pächterin, der Immobilienmakler, der Lehrlingsausbilder, die Bäckerin, der Hotelier. Es sei schon verrückt, sinniert Verbands-Bürgermeister Steimers am Karfreitag in seinem Büro im Rathaus. Mitte der 50er-Jahre, als der Flugplatz geplant worden sei, pilgerten die Eifeler in die Wallfahrtskirche des Klosters Martental und beteten, dass der Militärflughafen nicht gebaut wird. Heute beten sie, dass die Sprengköpfe, der Flugplatz und die Arbeitsplätze darauf erhalten bleiben.
"Es ist nicht so, dass wir Atomwaffen-Fans sind", erklärt Rudi Hieronimus (56). Der Koch aus Büchel arbeitet seit 38 Jahren auf dem Fliegerhorst. "Sobald endlich feststeht, dass hier die neuen Eurofighter stationiert werden und der Flughafen gerettet ist, könnten die Atomwaffen sofort verschrottet werden. Niemand, den ich kenne, wäre dagegen."
Am Ostersonntag versammeln sich rund 160 Menschen an der Kirche in Büchel zum Ostermarsch. Um fünf vor zwölf starten
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die Atomgegner und Friedensarbeiter - unter ihnen auch einige aus Hamburg - ihren Protestmarsch zum Haupttor des Fliegerhorsts. Der Wind pfeift und peitscht den Regen. Nur drei Bewohner Büchels machen mit. Sie trauen sich nicht, ihre Namen zu verraten. "Wir wollen uns im Dorf keine Feinde machen", sagt einer und blickt dabei traurig zu Boden.