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Huangs Traum / Mercedes-Benz Classic Magazin (10 Seiten) / 2019

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Huangs Traum
Zongmin Huang, Unternehmer in der Millionenmetropole Chengdu, ist ein Mann mit Mission: Der Mercedes-Benz Liebhaber will Klassiker jetzt auch in China populär machen
Fotos: Georgi Grancharov
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Sie haben wirklich großes Glück“, sagt Zongmin Huang zur Begrüßung. Er erklärt auch gleich, warum: „Gestern hatte ich noch lange mit Freunden zusammengesessen. Es ist bis weit nach Mitternacht gegangen. Als ich spät einschlief, war ich mir gar nicht so sicher, ob ich unsere frühe Verabredung auch einhalten kann.“
Zum Glück kann er. Der Unternehmer wirkt nicht nur munter, sondern auch bestens gelaunt. Seine Augen fixieren gespannt die Besucher aus dem fernen Deutschland. Man sieht es ihm an: Er ist erfreut und vielleicht auch ein bisschen geschmeichelt, dass wir extra seinetwegen den weiten Weg nach China gekommen sind.
Wir sind hier, weil er eine Art Pionier ist. Ein Vorreiter. Und weil er sich auf einer Mission befindet: Zongmin Huang arbeitet mit großem Enthusiasmus daran, China für den Markt der klassischen Fahrzeuge zu öffnen. Der 61-Jährige trägt hellbraune Schuhe, gelbe Stoffhose vanillefarbenes Jackett. Mit entspannt- einladender Geste bittet er, Platz zu nehmen. Tee, Kaffee, Säfte werden gereicht. Die Sessel und Sofas sind tief und weich. Helle Farben dominieren den großen, lichtdurchfluteten Salon. An den Wänden Kunst, viele wertvolle Originale. Stuck an der Decke. Ein gediegenes Ambiente inmitten eines Industriegebietes unweit des Highways zum Airport.
Wir sind im Südwesten Chinas. In Chengdu, mit 16 Millionen Einwohnern eine der Riesenstädte der Provinz Sichuan, die „Land des Überflusses“ genannt wird. Hier, wo es die größte Panda-Aufzuchtstation Chinas gibt und mit dem New Century Global Center das größte frei stehende Gebäude der Welt steht,
lebt Zongmin Huang.
Er ist einer der führenden Luxusautomobilhändler der Provinz mit ihren insgesamt 83 Millionen Bewohnern und gehört zu den vermögendsten Männern Chinas. Über 200 Exemplare umfasst seine Sammlung klassischer Fahrzeuge. Etwa jedes zehnte ist ein Mercedes-Benz. „Mit dem roten 170, der Ihnen draußen sicher schon aufgefallen ist, drehe ich später noch eine Runde. Leider nicht durch die Stadt, sondern nur hier auf meinem – okay, nicht ganz kleinen – Firmengelände“, sagt er. „Es geht ja nicht anders. Noch nicht!“
Vom Mechaniker zum Multimillionär
Bislang ist es so, dass man weder Old- noch Youngtimer offiziell nach China einführen darf. Das Fahren mit alten Autos im öffentlichen Straßenverkehr ist, wenn überhaupt, nur mit schwer zu bekommenden Sondergenehmigungen möglich. Nach Meinung vieler Chinesen sind Autos älterer Baujahre – ähnlich wie noch vor 30, 40 Jahren in Westeuropa – einfach nur alt. Unbequem, uninteressant, uncool. Gibt es jemanden in China, der eine größere Klassikersammlung besitzt als er selbst? Herr Zongmin wiegt nachdenklich den Kopf. „Ich liege sicher vorne in der Rangliste. Klassiker sind in China noch eine sehr zarte Pflanze. Doch so langsam kommen sie auch bei uns in Mode. Sie verdienen unsere Wertschätzung. Meine haben sie längst.“
Einige Tausend Klassiker seien bereits im Land, oft eingeführt als Ausstellungsstücke, Kulturgüter oder Sitzmöbel, erklärt er
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die spezielle Situation.
Doch viel mehr Klassiker warteten bereits in Containern und Lagerhallen im Ausland und an den Grenzen darauf, endlich ganz offiziell eingeführt zu werden.
Rund 40 von Herrn Zongmins 200 Preziosen aus über 100 Jahren Automobilgeschichte parken in seinem privaten Classic Car Museum, das in dieser Form und Ausstattung in China einzigartig sein dürfte. Und dann betreibt er auch noch eine Klassikerwerkstatt mit 50 Mitarbeitern. Sie sei Chinas erste reine Restaurierungs- und Reparaturmanufaktur für Oldtimer, sagt er: „Lassen Sie mich bitte erzählen, wie ich zu meiner Leidenschaft für diese rollenden Zeitzeugen kam.“ Er ist gelernter Automechaniker und machte im Jahr 1980, mit 22 Jahren, nach Lehrjahren auf dem Land, seinen Kfz-Meister. Vor allem japanische Autos, die damals auf dem chinesischen Markt bereits stark vertreten waren, machte er wieder flott. Er spezialisierte sich auf Reparaturen. Gemeinsam mit drei Freunden eröffnete er dann die erste eigene Werkstatt.
Bereits Mitte der 1980er-Jahre hat er sich als Fachmann für ausländische Fahrzeuge in der gesamten Provinz Sichuan einen Namen gemacht: „Damals versuchten hier viele Werkstattunternehmer ihr Glück, jedoch gingen etliche schnell pleite. Wir hingegen gingen die Sache ernsthafter und auch durchdachter an. Die Reparatur und Restaurierung selbst hoffnungsloser Fälle, das war unser Spezialgebiet. Und wir waren gut darin.“ Schnell sprach sich herum: Huang hilft!
Sein Unternehmen wuchs rasant. Im Jahr 1993 beschäftigte er in zwei großen Werkstätten bereits 300 Mitarbeiter: „Motivierte, gut ausgebildete Männer und natürlich auch Frauen. Oh, einen Moment“, unterbricht sich Herr Zongmin selbst. Er nippt am Tee, streckt den Rücken durch und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. „1991 war ein entscheidendes Jahr. Damals erwarb ich ein Auto, das meine Leidenschaft für Klassiker weckte.“
Die Staatskarosse Hongqi
Doch eigentlich hatte er das Auto nicht für sich gekauft, sondern für einen Kunden. Ein vermögender Landsmann hegte den Wunsch nach einem älteren Modell der chinesischen Staatslimousine namens Hongqi, was übersetzt „rote Fahne“ heißt. Er fand eines dieser seltenen Exemplare, bezahlte für das Rote-Fahne-Modell umgerechnet 10 000 Euro und kalkulierte weitere 3 000 Euro, die er noch in die Restaurierung stecken musste. 20 000 Euro war der Kaufmann aus Hongkong bereit, für das restaurierte Auto zu zahlen. Herrn Zongmin blieb dann immerhin ein Gewinn von rund 7 000 Euro: Ein gutes Geschäft, dachte er. Doch sein Kunde ging plötzlich pleite. Zongmin Huang blieb auf der schwarzen Staatskarosse mit V8-Motor und gut 200 PS sitzen. Im Jahr 1959 ging der Hongqi unter der Modellbezeichnung CA72 in Serienproduktion und wurde bis 1981 (ab 1965 als CA770) gebaut.
Ich beschäftigte mich intensiver mit dem Wagen, den ich ja nun unverhofft in meinem Besitz hatte“, erklärt er.
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„Die Limousine war nicht einfach nur schön, spektakulär und selten. Sie war ein Stück Geschichte. Und das faszinierte mich. Ich ließ mich auf den Wagen ein, sah ihn mit ganz anderen, mit neugierigen, interessierten und sogar bewundernden Augen.“
In der Ausstellungshalle seines im Jahr 1996 gegründeten Unternehmens Sanhe in Chengdu standen schnell drei Rote-Fahne-Modelle. Alle besitzt er auch heute noch. Mit einem hat er beim Concours d’Elegance im kalifornischen Pebble Beach einen Hauptpreis gewonnen: die Chairman’s Trophy. Sanhe, heute rund 2 000 Mitarbeiter, ist längst eines der bekanntesten Automobilhandelsunternehmen in Sichuan. Was bedeutet der Name Sanhe eigentlich? „Drei Harmonien: Himmel, Erde, Mensch. Himmel steht für große Chancen, Erde für den materiellen Hintergrund, Mensch für die Gemeinschaft, gewissermaßen für eine gemeinsame Sehnsucht.“
Beim Besuch des Automobilmuseums Blackhawk in Las Vegas kam ihm dann Anfang des neuen Jahrtausends die Idee: „Ich baue mein eigenes Classic Car Museum. Das erste seiner Art in China!“
Er suchte und erwarb Modelle fast aller Hersteller, viele fand er in der Volksrepublik, einige im Ausland: Italiener, Engländer, Amerikaner, Deutsche. Der rote 170 Da OTP (Offener Tourenwagen Polizei) war der erste Mercedes-Benz, den er kaufte. Ein Unternehmer aus Westeuropa, der längst woandershin verzogen war, hatte das Auto in China gelassen, wo es lange Zeit einfach nur vergessen herumstand. „Kommen Sie mit runter, ich zeige Ihnen jetzt
endlich das Museum“, sagt Herr Zongmin.
Chinas schönstes Automobilmuseum
Es ist 4 000 Quadratmeter groß und die Haupthalle liegt im Erdgeschoss. Die Tür geht auf – eine funkelnde Schatzkammer öffnet sich. Man staunt sich durch die großen Räume mit den topgepflegten Klassikern.
Meine beiden ausgestellten Mercedes-Benz 190 SL, der eine weiß, der andere rot, habe ich genauso wie das 220 Cabriolet A in Deutschland erworben und restaurieren lassen“, erklärt Herr Zongmin, dessen Augen jetzt besonders strahlen. Sein grüner 220 S gehörte vor ihm einem Chinesen und der Benz 8/20 PS von 1913 einem Sammler in Neuseeland. „Mit vielen meiner Mercedes bin ich schon die jährlich stattfindende Rallye Peking–Schanghai gefahren“, sagt der Unternehmer. „Sie sind meine geliebten Kaiser und müssen ja auch mal über längere Strecken bewegt werden.“
Wovon träumt ein Mann wie er eigentlich, der schon vieles besitzt und sich fast alles leisten kann? Herr Zongmin blickt jetzt ein wenig versonnen und stützt sein Kinn in die linke Hand: „In China sind die strengen Einfuhr- und Fahrbeschränkungen aufgehoben. Automobile Klassiker sind nicht mehr nur meine Leidenschaft, sondern auch ein Teil meines Geschäfts geworden. Und immer, wenn ich Lust verspüre, mache ich im 190 SL oder 170 D und gemeinsam mit einer Gruppe Gleichgesinnter einfach eine spontane Spritztour durch die Stadt oder einen Roadtrip durch unser landschaftlich
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so wunderschönes Sichuan.“