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Henkels große Anti-Euro-Show / Sonntag Aktuell (halbe Seite) / 2011

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Henkels große Anti-Euro-Show
Der frühere Industriepräsident reist mit einer Bühnentournee durch Deutschland. Seine Warnungen vor der Gemeinschaftswährung und vor dem europäischen Zentralismus kommen an. Für den Fall der Fälle denkt er laut über die Gründung einer Partei nach
Foto: dpa
Hamburg, Laeiszhalle, kleiner Saal. Gut 600 Menschen passen hier hinein, wo sonst Theaterstücke aufgeführt oder Musikabende inszeniert werden. Doch heute geht es nicht um Kunst oder Kultur. Es geht ums Geld. Um Euro-Krise und Rettungsschirme. Um die Angst der Menschen vor der Zukunft. Und um die Selbstinszenierung eines Mannes. „Rettet unser Geld“ heißt die Bühnentournee mit anschließender Live-Diskussion, mit der Hans-Olaf Henkel, 71, ehemaliger IBM-Manager, Berater der Bank of America, Spendeneinsammler der FDP, Industrielobbyist und Aufsichtsrat von sieben Unternehmen aktuell durchs Land tingelt. In Münster war er bereits letzte Woche, heute Hamburg, die nächste Station ist Berlin.
Der rüstige Mann im Rentenalter, der im vergangenen Jahr nach Heiner Geißler der meistgeladene Talkshow-Gast war, hat eine Mission.
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Der ehemals glühende Euro-Befürworter, verlässliche FDP-Wähler und -Unterstützer ist heute Deutschlands Extrem-Euro-Kritiker und längst mit den Granden sowie der jungen Führungsspitze der FDP zerstritten. Er habe als Euro-Befürworter einen Kardinalfehler gemacht und bekenne sich auch dazu, sagt der Mann, den einige einen „populistischen Stimmenfänger“ nennen, der so gerne Initiator einer Bewegung sein will, die Deutschland aus der Euro-Krise führt. Seit fünf Monaten, sagt Henkel, meide er Talkshow-Auftritte. Er könne dort seine Botschaften nicht transportieren, bekomme nie den Beifall, den er eigentlich verdient hätte.
Viel netter als in den „TV-Quasselbuden“, hofft er, ist es nun auf den Theaterbühnen der Republik. Hier hat er statt 20 Sekunden satte 90 Minuten Zeit, um ausschweifend über seine Ansichten und Alternativen zur Euro-Politik zu dozieren. Auch Thilo Sarrazin habe kürzlich zu ihm gemeint, die Bühnentournee sei die eleganteste Art, um endlich ernstgenommen und vor allem gehört zu werden.
Dunkelblauer Anzug, dunkler Mantel, Schlips und Kragen, auf Hochglanz polierte Schuhe, so spaziert Hans-Olaf Henkel ganz allein zum Bühneneingang der Laeiszhalle. „Ich komme direkt aus Berlin“, sagt er. „Mit dem Zug, zweite Klasse. Das Ticket habe ich selber bezahlt. Und auch für meinen Vortrag bekomme ich keinen müden Cent. Meinen Einsatz hier sehe ich nicht als Möglichkeit des Geldverdienens, sondern als Investition für Deutschland. Die Gesellschaft braucht Aufklärung. Und die Merkels und Röslers brauchen Druck. Die müssen endlich aufwachen, unser Land und Geld retten.“
450 Menschen haben für den Abend Karten für 23 Euro gekauft. Die meisten sind älter als 50 Jahre, gut gekleidet und keine Henkel-Kritiker. Eine elegante Hanseatin sagt: „Henkel for President.“ Ein drei Reihen hinter ihr Sitzender: „Der Mann gefällt mir. Er hat stichhaltige Argumente. In Zeiten wie diesen ist es wichtig, Kritikern eine Bühne zu geben.“
Auf der Bühne stehen ein Tisch und zwei Stühle. Ein bekannter n-tv-Journalist moderiert den im Land äußerst umstrittenen Euro-Kritiker an. Draußen, klagt er, ignorieren ihn das politische Establishment und die Wirtschaftsredaktionen. Hier drinnen in der Hamburger Laeiszhalle ist er ein Hoffnungsträger, dem die Leute an den Lippen hängen.
Der Moderator nennt Henkel einen der „profiliertesten Wirtschaftslenker“, einen „Vordenker und keinen Querdenker“, ein „Ehren-, keinen Plagiatdoktor der TU Dresden“, der sich viermal mit Fidel Castro getroffen hat und nach dem auf Sulawesi ein giftiger Schmetterling benannt wurde. Das Publikum lacht, klatscht und guckt gespannt.
Dann steht Hans-Olaf Henkel ganz allein auf der breiten Bühne. Er hat kein Rednerpult, kein Konzept, nicht mal einen Stichwortzettel. Der Freiredner lässt den Blick über die gut gefüllten Reihen schweifen. Er genießt einige Sekunden. Und legt dann los, ohne zu stocken und zu stottern: von der Unfähigkeit der Regierenden, von der schlappen „Jugend-forscht-Truppe“ der FDP, vom jüngsten Rettungsschirm, mit dem sich die Regierungen nur Zeit gekauft hätten.
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„Frau Merkel behauptet ja, scheitert der Euro, scheitert Europa“, referiert der geborene Hamburger. „Ich sage Nein, es gibt Alternativen.“ Zum Beispiel die Einführung des „Nordeuro oder Nordo“ für die wirtschaftlich noch recht kompakten Staaten und des „Südeuro oder Südo“ für die wirtschaftlich maladen „Olivenländer“.
Den starken Nordo sollten die „Geberländer“ Deutschland, Österreich, Holland und Finnland einführen. Den weicheren Südo die 13 „Nehmerländer“ der Euro-Zone, von denen einige nie den Euro hätten einführen dürfen. Sie würden vom starken Euro erdrosselt. Er wolle nur, sagt er flehentlich in Richtung Pressevertreter, Nachdenklichkeit erzeugen.
Die EU habe 27 Mitgliedstaaten, aber nur 17 seien in der Euro-Zone. Der Euro habe Europa gespalten. 75 Prozent der Deutschen seien gegen die Hilfspakete, die Mehrheit wolle den Euro, so wie er jetzt ist, längst nicht mehr. „Wir rennen in einen europäischen Zentralstaat hinein, in die vereinigten Staaten von Europa, in denen Einfalt und Gleichmacherei herrschen“, warnt Henkel mit jetzt leicht geröteten Wangen von der Bühne herunter. „Für mich fühlt sich das so an: Ich fahre auf der Autobahn, und 100 Geisterfahrer kommen mir entgegen.“ Beifall brandet auf. Immer wieder. Niemand fällt ihm ins Wort wie in den Talkshows. Dies ist seine Show. Die Henkel-Show. Er zelebriert sie, steht standhaft rechts auf der Bühne und verhaspelt sich nicht ein einziges Mal.
Und dann wird es richtig spannend. Die FDP war ja lange die Partei, die seinen Idealen entsprach, sagt Henkel trocken:
Aber jetzt sei sie eben unwählbar geworden. Trotzdem ruft er das Publikum in der Laeiszhalle auf, Mitglied der im Sturzflug befindlichen Regierungspartei zu werden. Er hebt den Zeigefinger, sagt „Achtung, wichtig, bis spätestens Ende November die Beitrittsunterlagen anfordern.“ Dann können die Neu-FDPler noch an der von FDP-Euro-Kritiker Frank Schäffler initiierten Mitgliederbefragung teilnehmen. „Wenn mehr als die Hälfte der befragten FDP-Mitglieder sich hinter Schäffler stellen, wird die FDP und damit die Bundesregierung zu einem Umdenken auch in ihrem irrwitzigen Euro-Kurs gezwungen“, hofft Henkel. „Wir sollten der FDP noch eine letzte Chance geben, doch noch auf den richtigen Kurs zurückzukommen. Wenn sie die Chance nicht nutzt, treten wir fix wieder aus und gründen im Januar eine neue Partei. Dann bleibt noch genügend Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl, bei der wir im Gegensatz zur FDP ausreichend Stimmen bekommen sollten, um es in den Bundestag zu schaffen.“
Ob er selbst auch erwäge, Mitglied der FDP zu werden, wird Henkel gefragt. „Ja, wenn sie alle mit antreten, dann komme ich natürlich mit“, antwortet er. „Kommt die FDP nicht zur Vernunft, stehe ich auch für die alternative Partei – die Neue Europa Partei, NEP heißen könnte – zur Verfügung.“ Nach gut zwei Stunden brandet ein letztes Mal langanhaltender Beifall auf. Der wortstarke wie gewiefte Henkel atmet erleichtert auf. Der Abend sei gut gelaufen, sagt er. Und ein paar Dutzend Exemplare seines aktuellen Buchs hat er auch noch signiert und verkauft.