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Die Panzerknacker / Matador (6 Seiten) / 2007

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Die Panzerknacker
Sie sind Aufsperr-Genies. Und sie kennen nur ein Ziel: den perfekten Einbruch. MATADOR hat den beiden besten Profi-Einsteigern Deutschlands über die Schulter geschaut.
Foto: Günther Menn
Der Marschbefehl kommt am Freitagabend. "Legen Sie los", sagt der Auftraggeber am Telefon, während draußen die Nacht herabdunkelt. "Sie haben 48 Stunden Zeit. Und ich erwarte einen perfekten Job."
"Alles klar, Chef", erwidert Mahmod Abu Shanab, "ich wirble keinen Staub auf. Sie können sich auf mich verlassen."
Der 38-Jährige, in Deutschland geboren, aber mit familiären Wurzeln im Nahen Osten, ist von Beruf Aufsperrexperte. Meister aller Einbruchstechniken. In seinem ganz speziellen Hightech-Handwerk, gehört er zu Deutschlands Besten. Er operiert von Hamburg aus, hat Klienten in der ganzen Welt und öffnet etwa im Auftrag von Regierungen oder Polizei-Spezialeinheiten Türen und Tresore.
Seine Operationen, sagt er, seien oft "reine Lauschangriffe", bei denen es darum geht, unbemerkt in Wohnungen oder Autos von
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Verdächtigen oder Verbrechern zu gelangen, um sie mit Miniwanzen oder Peilsendern zu versehen. Und sobald der Job erledigt ist, die Tür der Wohnung oder des Autos wieder zu verschließen, ohne Spuren zu hinterlassen. Niemand darf erfahren, dass er jemals am Einsatzort war.
Flipp-Pistolen gegen Panzerriegel
Diesmal hat ihn ein privater Auftraggeber engagiert. "Das wird ein Dreikampf", erklärt der Profi-Einsteiger, während er sich seine schwarze Geheimdienstweste überstreift, ein Souvenir von einem Einsatz in Libyen, wo er Agenten von Ghadafis Geheimdienst im Gebrauch von Einbrecher-Spezialwerkzeugen unterwiesen hat. "Meine Aufgabe ist es heute, zuerst den Panzerriegel der Bürotür, dann das Türschloss und schließlich den Tresor zu knacken. Ich habe keine Ahnung, um welche Fabrikate es sich handelt. Nicht mal, ob ich es mit mechanischem oder mechatronischen Schließsystemen zu tun bekomme. Egal. Das macht die Sache nur spannender."
Er und sein Gehilfe, der ihn bei dieser Operation begleitet, checken noch einmal die acht Einbruchs-Einsatzkoffer mit Aufsperrgeräten, von denen manche an Miniraumschiffe erinnern. Sie tragen Namen wie Sputnik, Pin-Tumbler-Decoder, Automatic Dialer ITL 1000, Primuspick, New Generation Pick, Hobb'scher Haken oder Flipp-Pistole und gehören zum Arsenal von Nachrichtendienstlern und Zielfahndern, Sonderermittlern und Wirtschaftsspionen. Und wohl auch von
technisch versierten Berufskriminellen.
Kein Türschloss, keine Alarmanlage, kein Panzerschrank ist vor diesen handgearbeiteten Präzisionsinstrumenten sicher. Sie knacken teuerste Schließsysteme – auch jene, die alle relevanten Sicherheits- und Sachversicherer (VDS) tragen und von den polizeilichen Beratungsstellen empfohlen werden. Shanab, der seine Werkzeuge bis nach Pakistan oder in den Iran verkauft, in Hamburg einen Spyshop und einen Schlüsselnotdienst betreibt und "gegen Vorlage eines Gewerbescheins oder Behördenausweises" Anfänger- und Profiseminare über neueste Öffnungstechniken gibt, behauptet, er manipuliere die meisten Schließsysteme, ohne etwas zu zerstören. Meistens sogar, ohne einen Kratzer zu hinterlassen.
Wer rein will, kommt rein. Überall
"Was zugeht, geht auch wieder auf. Man braucht nicht einmal Kraft dafür. Nur ein halbwegs ruhiges Händchen", erklärt Shanab, während er sein 100.000 Euro teures Equipment im Wagen verstaut. "Es ist alles nur eine Frage des Werkzeugs und des Willens."
Mit 190 Sachen geht es nach Norden bis knapp vor die dänische Grenze. Der Zielort von Shanabs Mission muss ebenso geheim bleiben wie der Name seines Klienten, auch über die Höhe seines Honorares will er keine Auskunft geben. Dafür liegt es ihm am Herzen, eines zu betonen: Sein Job führe ihn manchmal zwar hart an die Grenzen der Legalität, aber er achte immer darauf, auf der richtigen Seite zu
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bleiben.
"Mein Klient besitzt an der Ostsee ein Unternehmen mit über hundert Angestellten. Er hat ein Problem mit dem Geschäftsführer", erläutert er die Hintergründe seines aktuellen Auftrags. "Der Unternehmer ist davon überzeugt, dass der Geschäftsführer ihn betrügt, die Firma in die Hände der Konkurrenz spielen und nebenbei ein paar Millionen einstecken will. Doch niemand besitzt den Schlüssel zu seinem Büro, keiner kennt die Kombination des Safes. Deswegen hat er mich gebeten, mal nachzugucken, ob im Panzerschrank irgendwelche Schweinereien stecken."
Das Türschloss hält nur 15 Sekunden lang
Der Einsatzort ist erreicht. Der Chef des Werkschutzes, der währ-
end dieser Nachschicht nicht ganz zufällig alleine die Stellung hält, salutiert höflich ohne überflüssige Fragen zu stellen.
Shanab, der kriminelle Einbrecher "Nachtschrauber" nennt, ist über die Gebäudeverhältnisse bestens informiert. Vor dem Büro des Geschäftsführers kniet er sich auf den Boden und untersucht mit einem 25.000 Euro teuren Spezial-Endoskop, wie es auch in der Medizintechnik verwendet wird, die Schlösser und Panzerverriegelung. Ähnlich wie bei einer Magenspiegelung erscheinen die Bilder des Zylinderinneren auf einem mobilen Bildschirm.
"Der Panzerriegel hat eine Stange Geld gekostet, aber drinnen steckt
ein schrottiges Schloss", murmelt Shanab, "kein Problem für mich." Er schnappt sich den Elektropick New Generation. Der ist klein und handlich wie eine Piccolo-Sektflasche. Ein leise surrender Hochleistungsvibrator mit spitzer Sonde als Aufsatz. 500 Euro kostet das Stück im Einzelhandel.
Die Sonde rüttelt im Zylinder mit einer Frequenz von 5000 Schlägen pro Minute gegen die Sperrstifte, die sonst von den Zähnen des Schlüsselbarts niedergedrückt werden. Es geht darum, die Stifte gleichzeitig in die richtige Stellung zu bringen. Nach 15 Sekunden hat der Panzerriegel seinen Namen nicht mehr verdient. "Die Spuren der Manipulation sind nur unter dem Mikroskop sichtbar", erklärt Shanab. "Natürlich nur für das geübte Auge."
Jetzt ist das Türschloss dran. Eine weitaus kniffligere Angelegenheit und deswegen "ein Fall für den Sputnik". Ein Berufseinbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien hat das Spezialwerkzeug entwickelt, das so klein wie ein Teelöffel ist und zwischen 1500 und 5000 Euro kostet. Mit seiner Erfindung war der Jugoslawe in Juweliergeschäften ein- und ausgegangen, hatte Alarmanlagen aus- und wieder eingeschaltet, Türschlösser auf- und wieder zugeschlossen. Die Polizei und die Versicherungen standen lange Zeit vor einem Rästel. Shanab befand das Gerät für "genial", kopierte und perfektionierte es. Der Gangster aus Jugoslawien kann für seine Erfindung ja keine Markenrechte einklagen. Er sitzt im Knast. Noch ziemlich lange.
Der Manipulationstechniker dreht vorsichtig an den Beinen des
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Messinginstruments. Feine Stahldrähte schälen sich aus dem Inneren des aufgesetzten Rohlings. Sie lesen das Profil des Zylinders aus. Gleichzeitig werden die Daten gespeichert. Shanab wird mit ihnen später in seiner Werkstatt einen Nachschlüssel feilen, das hat er mit seinem Auftraggeber besprochen. Aber jetzt will er erstmal rein ins Büro. Die flexiblen Stahlstifte des Sputniks drücken die Zylinderstifte im Schloss genau so weit hinunter, wie es auch der Originalschlüssel mit seinen Zähnen täte. Shanab fixiert die Stifte und dreht den Sputnik zweimal. Die Tür springt auf.
Der Code für den Tresor kommt aus dem Computer
Nur sechs Minuten Eindringzeit haben Shanab und sein gehilfe gebraucht, um ins Büro zu kommen. Doch die größte Herausforderung seht ihnen noch bevor, der Tresor.
Erfreut stellen die Männer fest, dass im Regal verbauter Panzerschrank ein Zahlenkombinationsschloss besitzt. So muss Shanab nicht mit Stethoskop, Endoskop oder dem Hobb'schen Haken hantieren. Er schließt den Automatic Dialer ITL 1000 an. Das computergesteuerte Gerät aus den USA geht nacheinander jede mögliche Zahlenkombination durch. Weil das lange, schlimmstenfalls 24 Stunden dauern kann, aktiviert er zusätzlich einen Beeper. Sobald der Dialer die Kombination gefunden hat, erhält Shanab ein Signal.
Nach gut drei Stunden ist es soweit. Auf dem Display des Dialers erscheint die richtige vierstellige Zahlenkombination. Und der Tresor
steht offen wie ein Scheunentor.
Schnell werden die Unterlagen kopiert, die Schlösser verschlossen, das Einbruchsequipment verstaut. Der Job ist erledigt. Der Werkschutz-Mann salutiert und hat immer noch keine Fragen. "Astreine Arbeit", attestiert sich Shanab und schickt per SMS die verabredete Vollzugsmeldung an seinen Auftraggeber.
Im Versuchslabor des Meister-Einbrechers
Alle zwei Minuten wird in Deutschland eine Tür aufgebrochen, ein Fenster eingeschlagen oder ein Schloss geknackt. 260.000 Einbrüche – jedes Jahr. Doch die Einbrüche mit Spezialwerkzeugen tauchen in keiner Statistik auf. Die Versicherungen beharren noch immer stur auf längst veralteten Richtlinien: Wo es keine sichtbaren Spuren gibt, kann auch kein Einbruch stattgefunden haben. Der Geschädigte muss den Nachweis führen, dass jemand bei ihm eingestiegen ist. Nur dann bekommt er den Schaden ersetzt.
"Das ist echt kriminell", zürnt Klaus Noch. Der gelernte Automech-
aniker betreibt in der Kölner City ein Parkhaus und lebt gut davon. Doch seine Leidenschaft liegt woanders. Der 58-jährige Kettenraucher beschreibt sich selbst als "Aufsperr-Junkie". Sein Kick besteht darin, Schlösser ohne Originalschlüssel zu öffnen und ohne Spuren zu hinterlassen. "In meiner Branche ist das die Königsklasse", sagt er. Wenn ihn das Fieber packt, steckt er 3000 Euro im Monat in seine Sucht. Schlösser sind teuer. Aber Schlösser sind sein Leben.
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Auf dem "Seziertisch" seines Kellerlabors in Köln-Lövenich landen alle neuen Schließsysteme und werden auf Schwachstellen geprüft. Fast fanatisch sucht Noch nach der elegentesten Möglichkeit der Manipulation. Und findet dabei meist eine Lösung. Er braucht dafür Geduld, Geschick und manchmal auch ein wenig Genialität. Es geht darum, den magischen Trick zu finden – den richtigen Dreh, um das Schließsystem zu überwinden, dem Schloss sein Geheimnis abzuringen.
Schlösser kriegt er mit einem Fingerschnippen auf
Kürzlich war er in England. Dort hat er Mitarbeitern der obersten Polizeibehörde ein paar neue, von ihm erfundene Öffnungstechniken demonstriert. "Die sind fast vom Stuhl gefallen." Sein einzigartiges Talent machen sich auch deutsche Behörden zu Nutze. Noch schult regelmäßig Spezialisten des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter. Auch führende Schlosshersteller schätzen und fürchten sein Können. Gelegentlich beauftragen ihn besonders Mutige zum Stundensatz von 55 Euro, die Widerstandsfähigkeit ihrer Produkte zu testen. Länger als ein paar Minuten braucht er selten. Wenn er fertig ist mit den vermeintlichen Hochsicherheitsschlössern, ist die Gesichtsfarbe seiner Auftraggeber immer sehr ungesund.
Noch setzt nicht so sehr auf Hightech, sondern geht seine Aufsperrjobs robust an. Zum Beispiel bei einem mechatronischen Schloss mit Zahlencode. Im Normalfall löst nur die richtige Ziffernfolge
den Öffnungsimpuls aus. Noch muss bloß einen Rundmagneten mit 20 Kilogramm Zugkraft an das mehrere hundert Euro teure Hightech-System halten, und das Schloss ist wie von Zauberhand geknackt. Mit einem stärkeren Magneten – 80 Kilogramm Zugkraft – bekommt er sogar ein Spezialsystem auf, das über tausend Euro kostet und sich angeblich nur mit Chipkarte öffnen lässt.
Ebenso faszinierend wie der Magnet-Trick ist Nochs Schlagtechnik: Er nimmt einen Schlüsselrohling, bei dem er die Zähne alle auf die gleiche Länge gefräst hat, und führt ihn in ein eben noch original verpacktes Schloss ein, eines von der Qualität, wie sie 80 Prozent der Bundesbürger in den Türen haben. Mit der gleichen lässigen Routine, mit der andere ihr Frühstücksei aufklopfen, schlägt Klaus Noch das Schloss auf. Mit einem Teelöffel. Er schafft das sogar mit bloßem Fingerschnipsen. Doch meistens benutzt er einen hölzernen Hammerspiel. Die Schlagtechnik hinterlässt keine sichtbaren Spuren. Auch sie gehört zum Repertoie "der Leute da draußen, die wir nicht kennen". Das ist Nochs Umschreibung für Superbullen, Spezialagenten, Wirtschaftsspione und Profieinbrecher.
Universalschlüssel für Luxus-Autos
Eine weitere Erfindung aus seinem Kölner Kuriositäten-Kabinett sind seine magischen Autoschlüssel. Er studiert so lange die mechanischen Schließsysteme neuer Wagen, bis er den "Universalschlüssel" für ganze Baureihen fräsen kann. Momentan hat er Porsche, Audi, VW,
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Opel und – brandneu – BMW im Sortiment. Die Nachschlüssel verkauft er für 40 bis 80 Euro das Stück. An die Polizei, aber auch an "Gewerbetreibende".
In seinem Parkhaus demonstriert er, wie gut seine Werkzeuge funktionieren. Man braucht Fingerspitzengefühl. Manchmal viel Geduld. Aber es klappt immer.
"Es gibt kaum neue Herausforderungen", klagt Noch nach einem Besuch der "Security" in Essen, der weltgrößten Fachmesse für Sicherheitstechnik. Deshalb tüftelt er in seiner Werkstatt oft bis tief in die Nacht an einem eigenen Schließzylinder, der nicht zu manipulieren ist. Mit keiner derzeit bekannten Technik. Der zerstört werden muss, wenn man ihn überwinden will.
"Nur so ein System hätte den Namen Sicherheitsschloss wirklich verdient. Aber bislang ist mir keines in die Finger gekommen", sagt der Spezialist. Nachdenklich blickt er aus dem Fenster in die funkle Kölner Nacht. Dann schlurft er schon wieder runter in sein Labor. Es gibt noch viel zu tun für ihn.