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Der Rubel rollt / Matador (7 Seiten) / 2008

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Der Rubel rollt
In Moskau leben mehr MILLIARDÄRE als in jeder anderen Stadt der Welt. Sie leisten sich protzige Villen, luxuriöse Vergnügungen und teure Geliebte. Alles nur vom Feinsten, bloß der Geschmack nicht immer.
Foto: Günther Menn
Noble Zurückhaltung ist gerade in Moskau etwas für den alten Adel. In Moskau wollen die Neureichen zeigen, was sie haben. Auch wenn sie sich bloß über einen Drittwohnsitz kundig machen. Zur Informationsveranstaltung in der Surikow-Halle fahren sie in Lambos und Ferraris vor und lassen sich von Frauen mit so tiefen Dekolletees eskortieren, dass man in Deckung gehen möchte. Drinnen kostet ein Glas Weißwein 80 Dollar, aber es gibt auch Champagner. Die Küche grüßt mit Kaviar und kubanischen Zigarren, zur Auflockerung singt eine Girlband, die Viagra heißt und auch so aussieht. Hier wird heute Abend der höchste Wohnpalast der Welt vorgestellt, das Pentominium in Dubai: 516 Meter hoch, riesige Apartments mit Blick auf den Persischen Golf. „Wenn Sie hier ein Penthouse kaufen“, keilt der Einpeitscher auf der Bühne, „ist Gott Ihr Nachbar.“
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Leonid Kasinez hat kein Interesse an einer solchen Nachbarschaft, er ist bloß zur Marktbeobachtung vorbeigekommen. „Wir brauchen keine arabischen Emirate und keine Ölscheichs“, sagt der 41jährige mit milder Verachtung, „wir greifen selber nach den Sternen.“ Kasinez gehört der Bau- und Immobilienkonzern Barkli. Mit politischer Rückendeckung des Moskauer Bürgermeisters erwirbt er Filetgrundstücke in der russischen Hauptstadt, um Geschäfts- und Wohnpaläste hochzuziehen. Eine Barkli-Wohnung in bester Lage kostet Minimum 50.000, maximal 110.000 Dollar. Pro Quadratmeter. Das ist Weltrekord.
Auf über eine halbe Milliarde Dollar schätzt das Wirtschaftsmagazin Forbes sein Vermögen, Tendenz: rasant steigend. Wenn es so weitergeht mit dem Bauboom in Moskau, gehört Kasinez bald zu den „goldenen Hundert“, den hundert reichsten Russen. 60 Milliardäre leben in Russland, fast alle in Moskau – das macht die Stadt noch vor New York (wo es nur 32 Milliardäre gibt) zur Welthauptstadt der Megareichen.
Privat lebt der wortkarge Bau-Tycoon Kasinez eher bescheiden. Bis vor kurzem nächtigte er noch im Einzimmer-Apartment, erst vor wenigen Wochen bezog er ein Penthouse in einem seiner kremlnahen Marmorhäuser. Die Einrichtung: englischer Landhausstil mit Hightech aufgepeppt. „Dies ist eine intelligente Wohnung“, sagt Kasinez, „selbst der Klodeckel öffnet sich auf Knopfdruck.“ Über seine sonstigen
Besitztümer schweigt er eisern. „Eine Berufskrankheit“, sagt er.
Moskau megareich
Die meisten der Moskauer Megareichen residieren an der „Rubljowka“, der 30 Kilometer langen Ausfallstraße nach Westen. Bis zu 12.000 Dollar kostet an der Parkallee, „Meile der Milliardäre“ genannt, ein Quadratmeter Bauland. Immer neue Hochsicherheits-Ghettos der Oligarchen schießen hier aus dem Boden. An die Villen, Schlösser und Burgen kommen Normalsterbliche nicht mal auf Sichtweite heran. Schlagbäume, Security-Armeen und meterhohe eiserne Vorhänge sorgen dafür, dass das Volk sich über den Protz und Prunk der Neureichen gar nicht erst empören kann: Fitnessstudios groß wie Schulsporthallen, Golfplätze, Wasserfälle, goldene Wasserhähne, Plüschbarock. Die Holzböden sind denen französischer Chateaus oder den Zarenschlössern St. Petersburgs nachempfunden, der Marmor stammt nicht aus der Toskana (viel zu gewöhnlich), sondern aus winzigen Minen in Guatemala oder Indien. Alles nur vom Feinsten und Besten, nur manchmal der Geschmack nicht.
An der Rubljowka residiert auch Nikolaj Gogol. Der 42jährige „Multi-Geschäftsmann“ besitzt Anteile am Energieriesen Gasprom, ein paar Baustoff- und Immobilienfirmen und Supermärkte und Ländereien in Sibirien. Gogol ist ein paar Hundert Millionen Dollar schwer, so
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genau kann er es selbst nicht sagen: „Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie mein aktueller Konto- und Vermögensstand ist“, meint er augenzwinkernd, während eine Haushälterin Erdbeeren „aus eigenem Anbau“ serviert. Seine neueste Geschäftsidee: „Ich baue einen Country Club.“
In einem weitläufigen Forst vor den Toren Moskaus hat er schon ein Polofeld, eine Galopprennbahn, eine Pferdeklinik, ein Luxushotel, künstlich angelegte Seen mit drei Tonnen Zuchtfisch und 30 Villen untergebracht. In den nächsten zwei Jahren will Gogol weiterexpandieren und „einen Sieben-Sterne Wohn- und Erlebnispark“ für Moskaus Megareiche hochziehen. „Ein Mann braucht eben immer Ziele“, weiß Gogol.
Auch an diesem Sonntag veranstaltet er in seinem Country Club ein Springturnier – eine gute Gelegenheit, Männer kennen zu lernen, die sonst nur in gepanzerten Limousinen an einem vorbeidonnern. Dimitri Selenin zum Beispiel: Der 44jährige Abramowitsch-Freund ist Gouverneur im Twerskaja-Gebiet, dem riesigen an Moskau angrenzenden Regierungsbezirk. Selenin flaniert in Jeans und Turnschuhen durch die VIP-Zone, aber man braucht sich davon nicht täuschen zu lassen. Seine politische Macht hat auch Selenin natürlich schon lange in klingende Münze umgesetzt. Rund eine Milliarde Dollar soll der Gouverneur bereits gehortet haben. Oleg Agibalow, Großfabrikant und ebenfalls ein Freund Gogols, sitzt mit seinem Clan unter dem Sonnenschirm und ist schon ein wenig betrunken: „Ich
besitze zwei Residenzen an der Rubljowka. In der größeren hängen Kunstwerke aus der Dresdener Gemäldegalerie. Ich glaube, ihr habt für diese Kostbarkeiten einen ziemlich hässlichen Namen – Beutekunst. Vor knapp drei Jahren hat der 43jährige Ex-Geheimdienstler von Ex-Präsident Putin persönlich den Orden „Ruhm Russlands“ verliehen bekommen: „Das ist in unserem herrlichen Land so eine Art Absolution“, grinst Agibalow. „Mit dem Orden an der Brust kann mir nicht mehr so viel passieren.“
Die Gesetze der Oligarchen
Wer erfahren will, wie die geheimnisvollen Oligarchen wirklich ticken, muss sich an Elena Lenina wenden. Zwei Jahre lang war sie Geliebte von Wladimir Jewtuschenko, der mit Elektronik, Kommunikation und Immobilien so viel verdient hat, dass auf der Liste der reichsten Russen mit 8,5 Milliarden Dollar Platz 14 belegt.
Elena, sehr blond und extrem ehrgeizig, macht aus ihrem Alter und ihrem richtigen Namen ein großes Geheimnis, stammt aus einem kleinen Dorf in Sibirien und lebt mittlerweile die meiste Zeit des Jahres in Paris. Mit ihrem Insiderbuch "Multimilliardäre" hat sie es in die russischen und französischen Bestsellerlisten geschafft. Elena kennt viele der Moskauer Oligarchen persönlich: Wladimir Potanin etwa, mit 15 Milliarden Dollar der viertreichste Russe, Michail Friedmann auf Platz sechs oder Bagit Alekperow, mit 12,2, Milliarden der Achte in den Milliardär-Charts. Deswegen kann man ihr getrost vertrauen, wenn sie
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über die Megareichen referiert: „Der typische Oligarch ist 44 Jahre alt, also fast 20 Jahre jünger als Milliardäre in den USA oder Westeuropa. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, die in Frankreich, der Schweiz oder England leben. Er hat ein Haus an der Rubljowka, eine Wohnung im Zentrum Moskaus und drei Residenzen im Ausland, er besitzt eine Yacht und zwei Flugzeuge, er hat vier Bodyguards und einen privaten Geheimdienst, der sich um die Absicherung und Erweiterung seiner Einflusssphäre kümmert.“
Nur kurz lässt sich Elena Lenina von ihrem Handy unterbrechen. Ein Geschäftsmann lädt sie zu seinem 55. Geburtstag ein, als „Farbtupfer“. Natürlich sagt sie zu. Sie kriegt ein Honorar dafür. Nachdem sie das Telefongespräch beendet hat, gibt sie Auskunft darüber, was in Moskau für die vielen Frauen der Alpha-Männer drin ist: „Der Oligarch unterhält neben seiner Ehefrau zwei Geliebte, aber er kauft ihnen keine Immobilien, sondern überlässt ihnen Kreditkarten mit einem monatlichen Limit zwischen 25.000 und 50.000 Dollar. Und die Diamanten zum Geburtstag können schon mal zwei Millionen Dollar kosten.“
Gibt es denn in diesem prächtigen Leben nirgendwo einen Haken? Doch, sagt Elena und wird plötzlich unvermutet ernst: „Der Oligarch vertraut niemandem, denn er wird permanent belauert: von der Konkurrenz, der Regierung und dem Geheimdienst FSB. Und obwohl der Oligarch sich mit den politischen Machthabern natürlich arrangiert hat, ist er immer scheu wie ein sibirisches Schneekaninchen.“
Denn die Reichen wissen ganz genau: wer die Spielregeln verletzt, muss ins Exil – wie Boris Beresowski, ehemals reichster Russe, der sich mit Putin überwarf und mit nur Bruchteilen seines angehäuften Vermögens nach London fliehen musste. Oder er verschwindet im Arbeitslager wie Michael Chordorkowski, ehemals mächtiger Chef des Ölkonzerns Yukos. Der heute weitgehend enteignete 44jährige wollte mal im Präsidentschaftswahlkampf gegen Putin antreten – und wurde prompt wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu neun Jahren Haft verurteilt. Eine wirkungsvolle Demonstration, wer wirklich das Sagen hat. Seit Chordorkowskis Verurteilung ist Moskaus Finanzadel politisch völlig verstummt. Jeder noch so Reiche weiß nur zu genau: wen der Kreml auf dem Kicker hat, der ist ganz schnell arm dran. Und es ist ganz egal, wie viele Nullen er auf dem Konto hat.